Volltext: Globus, 3.1863

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Aus Bayard Taylor's 
Reisen in Lappland . 
Es ist bei so vielen vortrefflichen Eigenschaften , zu denen noch eine außerordentliche geistige Rührigkeit und ein scharfer Verstand kommen , ungemein beklageuswerth , daß die polnischen Juden so wenig den Forderungen der Gesellschaft , die sie nmgiebt , sich akkomo'diren . Es mag zum Theil wahr sein , daß die Gesell - schast mich eigentlich keine Forderungen an sie stellt , weil eine ge - wisse — nennen wir das Kind mit dem rechten Namen — keit sie abstößt , eine äußerliche und wohl anch innerliche Unsauber - feit . Allein es ist dabei schwer zn unterscheiden , was Ursache und was Wirkung ist . Es ist seiner Zeit wenig besser in Deutsch - laud geweseu , und doch ist in so kurzer Zeit ein so großer Prozeß der Civilisation vor sich gegangen . Freilich bringt das deutsche Volk andere Fonds zu solche» Missioueu mit sich , als das polnische . Aber wo es Menschen giebt , die der Liebe und der Freude fähig sind , da ist die Hoffnung wohlbegründet , daß sie auch das Gute und das Schöne in gleicher Weise einst erfassen werden . 
Selten freilich wird dem polnischen Juden Freude zu Theil . Die einzigen Freuden , die er hat , beziehen sich auf die Familie . In ihren Gemeindefesten lastet noch der Schmerz einer staatlichen 
nnd bürgerlichen Unterdrückung , deren Verschwinden kaum in nn - seren Tagen erst begonnen hat . Nur einmal im Jahre wird die Freude so laut , daß sie bis zur Straße hinausschallt — am Tage der Thorafreude . Frauen umkränzen die Gesetzrolleu im hanse mit Blumengewinden ; Matronen werfen den Knaben und Mädchen Bonbons , Mandeln nnd Rosinen zu ; unter den Männern kreist der Becher nnd Lieder erschallen im Chor . Der Rabbiner nimmt die Thora in die Hand , das ganze Häuflein ordnet sich zum bunten Zuge . Ueber dem Rabbi wird ein Baldachin getragen ; vor - und nebenan ziehen die Aeltesten der Gemeinde . So geht's über die Straße weg . Die Buben spotten hinterdrein , und bis - weilen wirft die Bosheit auch wohl gar einen Stein dazwischen . Was giltst wo die Freude herrscht , da ist für Haß kein Ranm . Und Freude , wirkliche Freude herrscht . Greise Warden zn Kindern , sie springen so rüstig vor ihrem Kleinod her , die langen Röcke flattern im Winde , weit geöffnet sind die Pforten der lichterstrahlen - den Synagoge , jener Synagoge , die , gleich der Kirche , gleich der Moschee , gleich jedem Gottes - oder Götterhans , eine Trösterin ist gegen den Ungestüm des Schmerzes wie der Frende . 
Ans S ayard Taylors Reise in Lappland . 
Zweiter Artikel . 
Aufenthalt in Kantokeino . — Die Strenge eines lappländischen Winters . — Die Muckerversnche unter den Lappen . — Fanatismus und 
Mordthaten . — 
Während meines Aufenthalts in Dresden hatte mir mein Freund Alexander Ziegler einen Empfehlungsbrief des Hammer - fester Kaufmanns Berger an seinen Haushälter in Kantokeino ver - schafft . Schon in Mnoniovara aber hatte ich erfahren , daß Herr Berger sich gegenwärtig in Kantokeino selbst anshalte , so daß ich ihm dort nur seinen eigenen Brief zu übergeben brauchte . Wir kamen iudeß so spät an , daß ich im Gasthause zu übernachten be - schloß . Das einzige Zimmer desselben war aber ganz vollgestopft von Lappen ; dazn gesellte sich der erstickende Ranch von Birken - reisig , den ich bereits kennen gelernt hatte . Ehe ich mich dieser erstickenden Atmosphäre aussetzen wollte , beschloß ich , lieber unter meinem Pulk im Schnee liegen zu bleiben . Der lange Isaak aber führte uns zum Haufe des „ Länsmanns " oder Bürgermeisters , wo wir anklopften . Hier trat uns Herr Berger selbst entgegen und redete uns in fließendem Englisch an . Sogleich wurden wir in ein hübsch eingerichtetes Zimmer geführt , vor uns stand eine reich - besetzte Tafel , nnd als wir uns in dem schneeweißen Leinenzeuge der Betten ausstreckten , waren alle Leiden der Reise vergessen und wir priesen die Civilisation , die sich bis hierher erstreckte . 
Der Länsmann sprach ziemlich gut englisch . Außer ihm und Herrn Berger bestaub die civilisirte Bevölkerung Kantokeinos noch aus einem Studenten der Theologie , der die lappische Sprache ; lernte , und den : Pastor Hvosles . Der Ort wird vom nordi - schen Eismeere durch das unbewohnte Kiölengebirg und von den finnischen Niederlassungen am Mnonio durch das öde Tafelland getrennt , welches wir so eben durchreist hatten . Als Mittelpunkt eineö Landstriches , in dem die Lappen während des Sommers mit ihren Rennthierheerden umherziehen , ist Kantokeino doch ein Platz von einiger Wichtigkeit , besonders für den Handel und die Kultivi - ruug der Lappländer . Die erste Kirche ward unter Karl XI . im Jahre 106» hier erbaut . Später siedelten sich auch einige Finnen an , doch vermischten sie sich allmälig mit den Lappen , so daß man augenblicklich wenig nnvermischtes reines Blnt hier findet . Zu 
bemerken ist , daß die Norweger fälschlicherweise die Lappen Finnen und die Finnen Qnänen nennen . 
Kantokeino liegt in einem flachen Becken , das sich nach Nordost öffnet . Obgleich es nur 835 Fuß über dem Meeresspiegel liegt , kommt doch kein Gewächs in der unfruchtbaren Gegend fort und blos schwarze Hütteu unterbrechen die Schneeeinöde . Nur mit der größteu Schwierigkeit kamen einigemal Kartoffeln' zur Reife ; die frühen Herbstfröste tobten alles Pflanzenleben . Außer Renn - thierfleisch , Milch und Käse bringt die Gegend nichts hervor . Das Getreide wird ans einer Entfernung von 11 . 2 engl . Meilen , ans Altenfjord , geholt . Da die Wege nur im Winter fahrbar sind , so kommt Alles gefroren an . Die Kartoffeln sind so hart wie Kieselsteine , Zucker und Salz werden felsenfest und selbst der Wein erstarrt . So bewahrt man die Lebensmittel bis zum Gebrauch auf , wo man sie dann schnell am Feuer ansthaut . Der Geschmack leidet dabei wenig , und ich aß an der Tafel des Länsmanns Kar - toffeln , Kohl und eingemachtes Obst , denen man es nicht anmerkte , daß sie gefroren gewesen waren . 
Früher war der Ort im Sommer ganz verlassen , und nur im Wiuter besucht . Seit einigen Jahren jedoch hat sich die ständige Einwohnerschaft vermehrt nnd während des ganzen Jahres wird Kirche gehalten . Der Winter ist die rechte Jahreszeit , in der man die Lappen in ihrem charakteristischen Thun und Treiben stndiren muß ; dann befinden sich etwa achthundert derselben hier , während im Sommer ihre Zahl unter hundert sinkt . Viele Familien , be - sonders jene , in deren Adern auch sinnisches Blut fließt , leben in Holzhütten , die mit einem Herde und ein oder zwei Fenstern ver - sehen siud ; die meisten aber bewohnen Erdhütten , welche großen Maulwurfshügeln gleichen ; sie sind mit Schnee überdeckt nnd man würde sie nicht für menschliche Wohnstätten halten , wenn der auf - steigende Ranch sie nicht als solche verriethe . Zn beiden Seiten des Flnsses stehen die Vorrathshäuschen der Lappen , in denen sie ihre Geräthe während ihrer Sommerwanderungen aufbewahren ; jene
	        
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