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Die neapolitanischen Volksstämme .
„ Wissen Sie , weshalb man den Berg über der Hochebene von Lachivela seit langer Zeit Gnacamaya nennt ? " So hieß nämlich dieser Papagei auf St . Domingo und die Spanier haben diesen Namen beibehalten . Der Zambo fuhr fort :
„ In alleu dieseu Bergen sind Höhlen . Als die Patres Domi - uikauer noch Pfarrer nach allen Dörfern aussandten , ging ein sehr heiliger Mönch , der'Fra'i Alonso , nach Gnichilona . Das mag nun wohl sechszig Jahre her seiu . Ihm kam zu Ohren , daß oben im Gebirg ein Zauberer in einer Höhle wohne nud die Indianer zn demselben Wallfahrten unternähmen . Darüber wurde der Pater sehr zornig und ging selbst hin . Einige trene Diener führten ihn über Felsen und au Abgründen hinweg bis zur Höhle , deren Ein - gang hinter dichtem Gestrüppe liegt . Als der Pater ins Innere kam , sah er einen großen , mit Matten belegten Saal und Indianer , welche ein mit Kopal gefülltes Rauchfaß vor einem Gnacamaya schwenkten . Im Hintergrunde war ein Altar ; dort standen Blumen und brennende Kerzen und dort saß anch das Thier , welches die Heiden aubeteteu , als sei es unser Herrgott selber . Als Frai Alonso eintrat , schrie das häßliche Thier , als hätte es den Tenfel im Leibe . Der alte Zauberer , der ebeu iu eiuer Nebengrotte sich befand , heulte entsetzlich , als er deu Mann Gottes in der Höhle Satans erblickte . Dieser abscheuliche Heide war ganz und gar mit Wnnden bedeckt ;
diese hatte er sich mit Dornen beigebracht , damit Blut herauskomme und der Guacamaya dasselbe ablecke . Der Hexenmeister nahm den Vogel , liebkosete ihm und rief , er sei sein Gott , den keiner anrühren solle . Aber Frai Alonso kümmerte sich nicht darum ; er packte deu Guacamaya , trotzdem dieser um sich biß , schlug eiu Krenz und drehete der Bestie den Hals um . Und was geschah nun ? Genau , in demselben Augenblicke schrie der Hexenmeister lant auf und griff an seinen Hals , deu ihm der Teufel , welcher aus dem Vogel heraus - gefahren ist , umgedreht hatte . Der Pater aber freuete sich und gab den blinden Heiden eine eindringliche Ermahnung . "
Es steht zn hoffen , daß wir nach und nach Genaueres über die Einzelnheiten des Nagualiömus erfahren . Jedenfalls hat Brasseur recht , wenn er annimmt , daß derselbe noch eine großeMengeBekenner unter den Indianern Mexikos und Centralamerikas zähle , und es wäre iu hohem Grade interessant , diese Neberreste des Heidenthums grüudlich zu kenneu . Anch in Bolivia bei den Aymaras und in Peru bei den Qnichna - Indianern lebt Vieles aus der heidnischen Zeit fort , und auch dort ist das Christenthum den braunen Leuten kaum bis uuter die Haut gedrungen . Der Haß der braunen Meu - scheu gegen die Weißen und deren Mischlinge erscheint in dem ge - sammteu ehemals spauischeu Amerika gleich ingrimmig .
Die neapolitanischen Dolksstiimme .
Ii . Die Lncaner , Calabresen und Samnitcr .
Besuchen wir jetzt die Bewohner der Basilicata , die sich noch heute wie im Alterthum Lucauer nennen . Die Lncani waren Stammverwandte der Samniter , lagen aber mit diesen häufig in Krieg und Fehde . Sie waren ein sehr freiheitsliebendes , demokra - tischen Staatseinrichtungen anhängendes Volk und sind es noch heute . Als Garibaldi kaum das italienische Festland betreten , waren sie die Ersten , welche das bonrbonische Joch selbstständig ten . Auch lieferten sie Garibaldi eine ganze Division Streiter , die sich durch Tapferkeit und gute Discipliu auszeichnete . Ihr Volks - stamm ersteckt sich über die Basilicata hinaus und dehnt sich na - mentlich in der Provinz Principato citra ans , deren Bewohner sich auch am liebsten Lncani nennen hören .
Die Lucauer sprechen einen eigentümlichen Dialekt , der sich wesentlich von den übrigen süditalienischen Mundarten unter - scheidet . Es giebt unter ihnen aufgeklärte Leute . Charakteristisch ist in dieser Beziehung , daß ein Reisender unlängst in der Bibliothek des Collegiums von Potenza Hnmboldt's Kosmos in deutscher Ausgabe entdeckte ; das war seltsam genug und wurde einem neapo - titanischen Blatte , der Democrazia , als etwas ganz Besonderes mitgetheilt . Die Democrazia machte davon sofort großes Ans - heben und stellte die Thatfache als einen Beweis hin , wie ge - bildet die Bewohner der Basilicata seien ! 'Ein kühner Schluß . Daß übrigens in Potenza , wie in allen größeren Städten Süd - italiens , Gelehrte , namentlich Geistliche und Advokaten , sich gern mit dem Studium der deutschen Sprache nnd der deutschen Classiker und Philosophen beschäftigen , ist eine Thatfache , von der ich selbst mich mehrfach überzeugt habe .
Die Basilicata ist diejenige Provinz Süditaliens , wo der lebendigste Patriotismus zu Tage tritt , und man haßt die Bonr - boueu gründlich . Als Borjes mit seinen Leuten in die Basilicata einfiel und sie zu verheeren begann , wurde er uicht durch die regu - lären Truppen , sondern durch die Nationalgarden und die sich überall schnell organisirenden Freicorps der Liberalen besiegt und zur Flucht gezwungen . Der Lueaner ist überhaupt eiu entschlossener , allezeit zur That gerüsteter Mensch . Wenn die neue Regierung Gelegenheit findet , die schweren Versäumnisse der frühern gut zn
machen , wenn sie insbesondere für Schulen und Bildungsanstalten überhaupt sorgt , dauu werden gute Keime , die bisher unentwickelt blieben , aufgehen können , und namentlich darf man von der silicata Gutes erwarten . Potenza nnd Makera sind die beiden hauptsächlichsten Städte der Lncaner . Ihre Bevölkerung zeichnet sich dnrch einnehmende Sitten nnd alterthümliche Gebräuche aus , und gewährt deu Archäologen nnd Ethnographen Stoff zu iuter - essauteu Beobachtungen . Doch werden beide Städte nur selteu besucht , weil sie dnrch keine direkten Straßen mit Neapel verbnn - den , überhaupt die Verkehrsmittel in diesem Theile Süditaliens äußerst mangelhaft sind und sich oft nur auf erbärmliche pfade beschränken . Matera gewährt einen ganz eigenthümlichen Anblick , indem es in drei ziemlich tief eingeschnittenen Thälern liegt , die Kirchen aber so auf den Höhen stehen , daß sie über der Stadt zu schweben scheinen .
Nachbarn der Lncaner sind Calabreseil , die Brnttii nnd Calabri der Alten . Sie standen in dem Rufe , dumm , tölpisch , unruhigen Sinnes , aber sehr tollkühn und tapfer zu seiu . Sie wußten ihre Nachbarn zinsbar zumachen , schlugen den epirotischen König Alexander und vereitelten den dnrch Agathokles von Sicilien aus gegen sie unternommenen Kriegszng , bis endlich der römische Consnl Fabricius Lusciuius über sie triumphirte . Als Hannibal in Süditalien erschien , traten sie ihm bei , mußten aber , nachdem diesem das Glück den Rücken gedreht , sich aufs Nene den Römern unterwerfen , die ihre Verachtung dadurch zu erkennen gaben , daß sie diese Feinde nicht als Soldaten , sondern nur als Gerichtsdiener und Büttel verwandten ; deshalb bedeutete bei den alten römischen Schriftstellern Bruttianns so viel als Scherge . .
Das überaus bergige Calabrien ist zwar in einzelnen Theilen sehr fruchtbar und auch gut angebaut , zählt aber eiue zu große Bevölkerung , um diese , namentlich bei der bisherigen Vernach - lässignng aller nationalökonomischen Grundregeln im Königreich Neapel , hinreichend ernähren zu können . Ein Calabrese , der keinen Grundbesitz hat , glaubt sich zn einem Stegreifleben auserkoren und berechtigt . Dies drücken anch die armen Einwohner der calabre - fischen Gebirgsortschaften sehr sinnreich nnd naiv ans , indem der