Volltext: Globus, 70.1896

GLOBUS . 
ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER - UND VÖLKERKUNDE . 
VEREINIGT MIT DER ZEITSCHRIFT „ DAS AUSLAND“ . 
HERAUSGEBER : Dr . RICHARD ANDREE . VERLAG von FRIEDR . VIEWEG & SOHN . 
Bd . LXX . Nr . 2 . BRAUNSCHWEIG . Juli 1896 . 
Nachdruck nur nach Übereinkunft mit der Veriagshandlung gestattet . 
Zur Anatomie und Ästhetik bei den Japanern . 
Von Max Büchner . 
I . 
Man wird fremden Nationen erst dann gerecht , wenn man sie nicht hlofs von einer , sondern von allen Seiten betrachtet und gleichmäfsig alles , was ihnen eigen ist , Gutes und Schlechtes , hin und her überlegt . Die liche Meinung freilich verfährt im Verschenken von Gunst und Ungunst gern minder langsam . Das hat sie zum Beispiel deutlich gezeigt in dem Gegensatz der lung von Chinesen und Japanern . 
Unterdessen mehren sich die Berichte , die dafür sprechen , dafs die Chinesen doch nicht so schlecht sind , wie man sie häufig hinstellen möchte . Was Dr . Friedrich Hirth , ein Mann , berufen wie nicht leicht ein zweiter , über China zu reden , von den Bewohnern der Provinz Setschuan erzählt hat , klang doch wahrhaftig ganz anders als die billigen Schmähungen , die dem Volke des Zopfes herkömmlich zugefügt werden , indem man ständig zwei ganz verschiedene Begriffe , Staat und Menschen , verwechselt . 
Der Gerechtigkeit halber wäre nun nötig , den gleich des Urteils auch so zu fördern , dafs man seits die geschätzten Japaner etwas minder freundlich zu beleuchten versucht . Die Japaner haben schon so viel Loh und Liehe geerntet , dafs sie sich darüber gar nicht beklagen dürfen . 
Die Japaner scheinen dazu bestimmt , in ihrer geschlossenen Einheit ein Paradigma ostasiatischer Kultur abzugeben , das sich als ein Kapitel für sich neben das den fernen Westen beherrschende Bild der Hellenen zur Geschichte des Menschentums einreiht . Schon deshalb müssen sie endlich einmal völlig unparteiisch behandelt werden . 
Erst im 9 . Jahrhundert waren die Japaner als solche fertig , und ein Jahrtausend später , 1868 , waren sie auch wieder fertig , aber in anderem Sinne . Bis zum 9 . hundert brauchten sie , um aus dem Barbarentum sich empor zu arbeiten und die schon damals uralte Kultur der Chinesen sich anzupassen , und 1868 fiel es ihnen plötzlich ein , diese Kultur wieder abzuwerfen und den Frack der Europäer anzuziehen . Tausend Jahre einer reichen Entwickelung liegen als ein gerundetes Ganzes vor uns . 
Kein Vernünftiger wird den Leistungen der Japaner , dieses ganz einzigen Volkes des Fortschritts , seine wunderung versagen können . Die energische Kühnheit , mit der sie es wagten , plötzlich ihre eigene Verfassung in allem mit einer fremden zu vertauschen , steht ohne Beispiel da , und der Erfolg war jener Kühnheit würdig . Allein noch Interessanteres boten sie vorher . Die 
deckung dieses ganz einzigen Volkes , das fern von Europa und dessen Einflufs aus chinesischem Urstoff eine Gesittung sich gebildet hatte , die in manchem uns Europäer beschämt , wird für alle Zeiten eines der gröfsten Begebnisse bleiben . 
Die Japaner verstanden , verehrten und liebten die Schönheiten ihres Landes schon längst mit dem Auge des Künstlers , als wir gegen die Pracht unserer Alpen uns noch als stumpfe Barbaren verhielten . In der Kunst des Zeichnens , der täuschenden Darstellung plastischer Dinge durch Flächen waren sie ganz ohne uns , aber auf ähnlichen Wegen , zu einer Vollendung gelangt , die uns noch heute , trotz mancher Fehler , vielfach belehren kann . Die Japaner verstanden es , aus den grotesken und ziei’lichen Formen der kleineren Tierwelt sich Freuden zu schaffen , von denen wir gar keine Ahnung hatten . Die bessere Herstellung künstlicher Blumen , in denen wir selber vor zwanzig Jahren noch schmählich plump und ungeschickt waren , verdanken wir nur den Japanern . Die Japaner waren es , die uns gezeigt haben , wie auch die gemeinsten Dinge des Haushalts künstlerisch zu verfeinern sind . Und dieses Verlangen anmutiger Formen ging tief in die untersten Stände . 
Indem wir das alles voll Anerkennung geniefsen , kommt über uns leicht die Erwartung , dafs bei so viel Talent notwendiger Weise auf jedem Gebiete der Künste nur ausgezeichnetes Bestes zu finden sein müsse . Aber auf einmal erleben wir einen Kückschlag . 
Wir treten in einen japanischen Tempel , in dessen Hintergrund Buddha thront , meistens ein Kolossalbild . Zwar etwas steif und schematisch , ist Buddha doch immer grofs aufgefafst und voll ruhiger Würde . Er stammt aus dem alten Indien , woran die geschlitzten Ohren erinnern . In seinen Adern fliefst vielleicht auch hellenisches Blut , nach Indien eingeführt durch Alexander den Grofsen ( 327 v . Chr . ) , fast zweihundert Jahre , ehe die Buddhagestalten ihren Siegeszug über ganz Asien beginnen sollten . Diesem Umstand verdankt er leicht seine Hoheit . In einer Seitenkapelle hat die Kwannon , die Göttin der Gnade , die Madonna der asiaten , ihren Altar . Auch sie ist zuweilen befremdend schön und deutet gleichfalls nach Griechenland . 
Aber was für entsetzliche Fratzen sind sonst noch zu sehen . Schon am Eingang , zu beiden Seiten des Thores in eigenen Nischen , grinsten uns drohend zwei überaus häfsliche , grellrote Riesen entgegen , die Wächter des Tempels , die Nio . Diese Nio , aus Holz geschnitzt , stehen am Eingang zu allen japanisch - 
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Globus LXX . Nr . 2 .
	        
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