Globus LXXII. Nr. 2.
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GLOBUS.
ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- UND VÖLKERKUNDE.
VEREINIGT MIT DER ZEITSCHRIFT „DAS AUSLAND“.
HERAUSGEBER: Dr. RICHARD ANDREE. VERLAG von FRIEDR. VIEWEG & SOHN.
Bd. LXXII. Nr. 2. BRAUNSCHWEIG. 10. Juli 1897.
Nachdruck nur nach Übereinkunft mit der Verlagshandlung gestattet.
Krankheit, Tod und Begräbnis bei den Togonegern.
Eine volkskundliche Studie von II. Seide 1. Berlin.
I.
Der südliche und mittlere Teil des deutschen Togo
landes, soweit es für unsere Zwecke in Frage kommt,
wird fast ausschliefslich von den geistig und körperlich
gut beanlagten E v h e - Negern bewohnt. Ihre Sprach
grenze schlängelt sich im Norden zwischen dem 7. und
8. Breitengrade hin und wird im Osten etwa durch den
Mono, im Westen zum Teil durch den Volta gebildet.
Innerhalb dieses Raumes haben sich indes noch etliche
Sprachinseln mit Stämmen anderer, wenn auch ver
wandter Herkunft erhalten. Bunter und vielgestaltiger
werden die Verhältnisse erst tiefer binnenwärts, nament
lich in der bergigen Übergangszone, ehe man zu der
welligen Hochfläche des grofsen Nigerbogens mit seinen
mohammedanischen Kleinstaaten emporsteigt.
Ihrer Religion nach sind die Togoneger bis zur
Stunde eifrige Fetischdiener, deren Olymp eine Unzahl
von Göttergestalten beherbergt. Auch die Erde, das
Wasser und die Luft sind für sie mit Geisterscharen
erfüllt. Denn nach ihrem Weltbegriff dient das All,
von Stein und Pflanze bis hinauf zu Mensch und Tier
und den übersinnlichen Gefilden, nur als Heimstatt un
sichtbarer Wesen, die sich in jedes Ding und jedes at
mende Geschöpf beliebig einzukörpern wissen.
Im Süden dringt jetzt von der Küste her und von
den vorgeschobenen Missionsstationen das Christentum
bei diesen Heiden ein, und mit der zunehmenden Aus
breitung des Evangeliums — wie der deutschen Herr
schaft — geht natürlich manches von den früheren
Sitten und Gebräuchen rasch verloren. Neue Ansichten
greifen Platz; neue Geräte, Waffen, Kunstfertigkeiten,
Heilmittel u. s. w. kommen in Aufnahme, und bald leint
der Neger verachten, was ihm noch vor kurzem wert
und heilig war. Angesichts solcher Erkenntnis ist es
vielleicht kein nutzloses Beginnen, wenn hier der Ver
such gemacht wird, die altererbten volkstümlichen
Anschauungen der Togoneger, soweit sieKrank-
heit, Tod und Begräbnis betreffen, aus dem Quellen
schatze des letzten Jahrzwölfts zu einem geordneten
Ganzen zu sammeln Q. Leider sind die Beobachtungen
viel zu spärlich über die weite Fläche verstreut, und es
ist auch nicht jedem Beobachter möglich, aus „lang
l ) Zugleich versucht Verf. damit eine vorläufige und sehr
bescheidene Antwort zu gehen auf die Abschnitte 2. un
und etliche andere, z. B. 13, 26, 28 etc., seiner im Aultrage
des Königl. Museums für Völkerkunde in Berlin gear
beiteten „Instruktion für ethnographische Beohacn-
tungen und Sammlungen in Togo“. Berlin, E. S.Mittie
u. Sohn, 1897.
persönlicher Vertrautheit von Verhältnissen zu reden,
wohin er sich eingehend hineingelebt hat“. —
Nach dem einstimmigen Urteil aller Gewährsmänner
sehen unsere Schwarzen an der Sklavenküste, mit den
übrigen Naturvölkern, in Krankheit und Tod nichts
anderes, als die Wirkung zauberischer Kräfte, durch
welche böse Menschen oder zürnende Geister ihr Übel
wollen gegen die armen Erdenkinder bekunden. Sogar
bei Unglücksfällen, wo doch die Ursache des Schadens
offen zu Tage liegt, glaubt der Neger stets eine geheime,
feindliche Macht im Spiel, die Schuld an dem Mifs-
geschick trägt. Schon die kleinste Unpäfslichkeit, ein
Zahnschmerz oder Reifsen, ein empfindlicher Stofs oder
eine Beule wird nicht auf natürliche Weise erklärt,
sondern mufs durch Zauberei entstanden sein. Vielfach
betrachtet man solche Geschehnisse auch als Strafen für
die Umgehung oder Verachtung irgend welcher Fetisch
vorschriften, und bei dieser wohlfeilen Deutung beruhigt
sich der gedankenträge Neger um so lieber, weil er
damit jedem ernsteren Nachsinnen schnell enthoben ist.
Selbst die psychischen Leiden werden gern auf
Hexerei oder Geisterwerk zurückgeführt, und zwar vor
wiegend auf den letzteren Grund; denn der Neger be
urteilt auch die überirdischen Wesen ganz nach eigenem
Mafs und setzt bei ihnen das gleiche schadenfrohe,
tückische und grausame Gemüt voraus, das uns an dem
Schwarzen so häufig verletzt. Um aber seine Auffassung
psychischer Übel recht zu verstehen, müssen wir zuvor
einen Blick in den Seelenglauben der Togostämme, ins
besondere der Evhe, werfen. Nach ihrer Ansicht besitzt
jeder Mensch nicht nur eine Seele — (Edsieto oder Dsi
genannt)—, sondern noch einen „innewohnenden Geist“
oder Luwo l 2 )) der schon vor der Geburt existiert und
ungezählte Male eingekörpert gewesen ist. Er versieht
während der Lebenszeit des Menschen die Stelle eines
Schutzgeistes und wird auch als solcher geehrt. Beim
Tode entschwebt die Seele als persönliches Eigenwesen
und reist binnen sechs Monaten 3 * * ) über den Flufs Asisa
2 ) Wofür auch im Evhelande öfter die eigentlich derTschi-
sprache entstammenden Wörter Kra oder Kla angewendet
werden. Vergl. meine Arbeit über die Evheneger im
Globus, Bd. LXVIII, S. 331, doch ist der Satz dort, dafs
der Kra „etwa dem Begriff ,Seele“ entspricht“, nach obigem
zu berichtigen.
s ) „Im Gebirge glaubt man, dafs die Toten noch ein Neger
jahr in der Nähe des Dorfes bleiben, ehe sie in der anderen Welt
Aufnahme finden.“ Vergl. Herold, Bericht betr. religiöse
Anschauungen und Gebräuche der deutschen Evheneger, Mit
teilungen aus den deutschen Schutzgebieten, Bd. 5, 1892, S. 155.