GLOBUS.
ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDER- UND VÖLKERKUNDE.
VEREINIGT MIT DER ZEITSCHRIFT „DAS AUSLAND“.
HERAUSGEBER: Dr. RICHARD ANDREE. VERLAG von FRIEDR. VIEWEG & SOHN.
Bd. LXXII. Nr. 18.
BRAUNSCHWEIG.
6. November 1897.
Nachdruck nur nach Übereinkunft mit der Verlagshandlung gestattet.
Über den Zweck der Pfahlbauten.
Von P. und F. Sarasin. Basel.
Zu dem in Nr. 13 des Globus erschienenen Aufsatze
von Eberhard Graf Zeppelin-Ebersberg möchten
wir uns das Folgende zu bemerken erlauben.
Auf unseren Reisen ins Innere von Celebes während
der Jahre 1893 bis 1896 beschäftigten wir uns auch
gelegentlich mit der Frage nach dem Zweck der Pfahl
bauten ; denn nicht allein sieht der Reisende im malaii
schen Archipel längs allen Küsten auf Pfählen erbaute
Häuser — kann man ja doch schon bei Singapore ein
modernes Fabrikkamin unmittelbar neben einem Pfahl
baudorf sich erheben sehen —, sondern wir hatten
auch das Glück, im Innern von Celebes, in dem von uns
entdeckten Matannasee, ein echtes Pfahldorf anzutreffen.
Wir erkundigten uns bei den Bewohnern nach dem
Grunde, weshalb sie ihre Hütten auf Pfählen innerhalb
des Wassers und nicht wie alle ihre Nachbarn im Innern
von Celebes auf dem festen Grunde errichteten. Wir geben
hier die darauf bezügliche Stelle aus einem Vortrage wieder,
welchen der eine von uns vor einem Jahre in der Geo
graphischen Gesellschaft in Berlin gehalten hatte, und
welcher in den Verhandlungen der Gesellschaft er
schienen ist. (Siehe F. Sarasin, Durchquerung von
Südostcelebes, Verh. Ges. f. Erdk. Berlin, 23, 1896,
S. 339.) Die Stelle lautet folgendermafsen (das. S. 345):
„Hier (am Matannasee) fanden wir zu unserem Er
staunen im See ein Pfahlbaudorf, Matanna oder Paku
genannt und von To Bela Toradjas bewohnt. Etwa
20 Häuser standen in einer unregelmäfsigen Reihe im
seichten Wasser längs dem Ufer hingebaut, mit dem
letzteren und zuweilen auch untereinander durch lange
Brücken verbunden, welche in primitiverWeise aus lose
auf Stützen hingelegten Stöcken bestanden.
Jedes einzelne Haus besafs eine aus gefällten jungen
Bäumen oder rauhen Planken, die sich stets als Reste
unbrauchbar gewordener Einbäume erwiesen, hergestellte
Plattform, von welcher aus ein mit Kerben versehener
Baumstamm oder eine primitive Leiter in einen oberen,
von geflochtenen Palmblättern umschlossenen, armseligen
Wohnraum führte. Die Giebel waren mit aus Holz
geschnitzten Büffelhörnern oder ähnlichen Verzierungen
geschmückt.
Auf dem festen Lande in der Nähe standen Vorrats
häuschen für Feldfrüchte in grofser Zahl, ebenfalls auf
Pfählen nebeneinander. Zum Schutz gegen Ratten und
Mäuse waren die oberen Enden der Pfähle entweder
durch Querscheiben unterbrochen oder mit einer Hülse
aus glatten Palmblattscheiden umgeben.
Pfahldörfer an den Meeresküsten finden sich durch
den ganzen malaiischen Archipel und Neuguinea weit
Globus LXX1L Kr. 18.
verbreitet; solche in Süfswasserbecken sind indessen
heutzutage auf der ganzen Erde grofse Seltenheiten.
Auf Celebes kennen wir kein zweites mit Matanna zu
vergleichendes Pfahldorf, wenn auch gelegentlich ein
zelne Fischerhäuser, wie z. B. im Limbottosee bei Goron-
talo, im Wasser stehen; und diese Pfahldörfer sind es
gerade, welche in unserem Geiste eine längst entschwun
dene Epoche heraufbeschwören, als auch längs der Ufer
unserer europäischen Wasserbecken solche Dörfer im
Wasser standen.
Es interessierte uns, zu erfahren, aus welchem Grunde
wohl die Leute ihre Wohnungen, statt dem festen Erd
boden, dem Wasser anvertrauen, und erhielten zur Ant
wort: „das ist wegen des Schmutzes“; und in der
That kann kaum ein einfacheres Mittel gefunden werden,
die Abfälle von Haushalt, Mensch und Haustier zu
entfernen, als sie dem Wasser, das sich regelmäfsig er
neuert und bei Hochwasser alles reinfegt, zu übergeben.
Wo Pfahldörfer auf festem Boden stehen, spottet denn
auch in der Regel der Morast um und unter den Häusern
jeder Beschreibung.
Wir dürfen wohl annehmen, dafs auch bei unseren
europäischen Pfahlbauern die Schmutzfrage der mafs-
gebende Beweggrund war, die Wohnungen ins Wasser
zu stellen, und nicht, wie man gewöhnlich denkt, die
Furcht vor feindlichen Überfällen oder gar wilden
Tieren; denn wir haben seiner Zeit in Centralcelebes
am grofsen See von Posso, wo zeitweilig Stamm mit
Stamm in blutiger Fehde lebt, gesehen, dafs die dortigen
Toradjas durchaus nicht ihre Dörfer ins Wasser bauen,
sondern im Gegenteil gern vom Ufer, das jedem in
Kähnen ausgeführten Überfall offen steht, weg, auf
steile Hügelspitzen setzen und durch einen mit Bambus
splittern gespickten Ringwall weit energischer schützen,
als dies im freien Wasser möglich wäre.
Pfahlbauten in den Seen dürften also auf verhältnis-
mäfsig friedliche Perioden hindeuten, und so schien uns
auch die geringe Bewaffnung der Toradjas von Matanna
für ruhige Zustände zu sprechen, ganz im Gegensätze
zu anderen Landstrecken in Celebes, wo alles von
Waffen starrt; wir werden später am Towutisee solche
Verhältnisse kennen lernen.“
An das Gesngte anschliefsend, bemerken wir noch
folgendes: Längs den Meeresküsten werden die Pfahl
häuser mit Vorliebe innerhalb der Flutmarke errichtet,
wodurch es erreicht wird, dafs die herankommende Flut
allen Unrat wegfegt, welcher sich auf dem während
der Ebbe trocken liegenden Boden unter den Häusern
angehäuft hat.
35