Volltext: Globus, 72.1897

Aus allen Erdteilen. 
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nach der Morada geleitet und die Prozession wieder 
formiert wurde. Bei ihrer Vorbeidefilierung brachte der 
Hermanos - Bürgermeister mit einem Feuersteinmesser 
auf dem entblöfsten Rücken der Flagellanten tiefe Schnitte 
an, indem er das Messer auf und nieder und quer über 
den Rücken führte. Diese Linien bilden das Ordens 
siegel, welches jedes Jahr erneuert wird. Am Abend 
fand in der kleinen Kapelle des Ortes noch ein Gottes 
dienst statt, wobei die zitternden Aufsenstehenden aus 
dem Innern des Gebäudes Kettengerassel, Seufzen, 
Schreien und dumpfe Schläge vernahmen. Hiermit er 
reichte die Bufsübung ihr Ende. Die Teilnehmer gingen 
nach Hause. Manche von diesen waren vielleicht Hun 
derte von Meilen zu dieser Ordensfeier herbeigeeilt. 
Der Büfserorden verfügt über ein Gesetzbuch in 
Manuskriptform. Einige Gesetze des Ordens sind trotz 
der Geheimhaltung bekannt geworden. Wenn ein An 
gehöriger des Oi’dens erkrankt, so wird er nach diesen 
Gesetzen nach der Morada geschafft, wo ein vom Her 
manos-Bürgermeister angestellter Ordensbruder für ihn 
Sorge trägt. Stirbt der Kranke, so wird sein nackter 
Körper von den Brüdern des Lichts in ein Tuch gewickelt 
und an einer geheimen Stelle begraben. Kein Mann 
darf dem Orden ohne Erlaubnis seines Weibes beitreten. 
Die Ordensbrüder bestrafen dasjenige Unrecht nicht, das 
einer der ihrigen einem aufserhalb des Ordens Stehenden 
zufügt. Desto schwerer ahnden sie Vergehen, deren 
sich ein Ordensbruder einem anderen gegenüber schuldig 
macht. Auf solchen Vergehen steht Geifselung mit 
einer Peitsche, deren Ende aus Draht besteht. Auch 
wird der Schuldige allmählich bis an den Hals in einen 
ungeheuren Krug gesteckt. Eine fernere Strafe ist end 
lich das Lebendigbegrabenwerden(?), welches entsetzliche 
Schicksal unter anderen diejenigen trifft, welche die 
Geheimnisse des Ordens verraten.“ 
Soweit die grausige Mitteilung des Mr. Phelps, für 
die ich allerdings nicht in allen Einzelheiten eintreten 
will und die mit einigen Ausschmückungen versehen 
scheint, denn wenn auch Neu-Mexiko noch zu den am 
wenigst kultivierten Gebieten der Union gehört, so ist 
doch kaum anzunehmen, dafs die Behörden das „Lebendig 
begraben“ dulden oder unbestraft lassen. Sicher ist, 
dafs die katholische Kirche mit aller Macht gegen die 
Auswüchse dieser Flagellanten vorgeht, welche als 
Überreste eines finstern mittelalterlichen Brauches in 
einem entfernten Winkel Nordamerikas weiter existieren. 
Aber hier nicht allein. Vor kurzem fand ich bei 
einem hiesigen Antiquar einen Sonderabdruck: „ The 
Survival ofCorporal Penance“ von 0. H. Howarth, leider 
ohne Angabe der Zeitschrift, aus welcher er stammt, und 
in diesem wird ausführlich unter Beigabe von Abbil 
dungen über das Vorkommen von Geifselübungen auf den 
Azoren berichtet. Da auch nach diesen Inseln die Sache 
von Spanien aus gelangte, gerade so wie nach Neu- 
Mexiko, so will ich aus der Abhandlung hier einige Mit 
teilungen machen. 
Der Schauplatz ist die Azoreninsel Sao Miguel, wo 
entfernt von dem Hauptorte das Dörfchen lenaes 
d’Ajuda 'liegt, in dem der Geifslerorden der Terceiros 
seinen barbarischen Brauch bis in unsere Tage ausübt. 
Die Einwohner sind alle portugiesischer Abstammung, 
die Geifselungen finden statt in der Kirche Nossa Sen 
hora d’Ajuda, welche die Klosterkirche des Ortes ist, 
von dem sie etwa 1 km entfernt liegt. Der Geifsler 
orden der Terceiros zählt daselbst ungefähr 18 Mit 
glieder, sämtlich Laien, die sich alle sieben Jahre durch 
Zuwahl ergänzen. Dann ist der Zudrang zu den etwa 
frei gewordenen Stellen ein grofser, denn der Orden 
steht im Gerüche grofser Heiligkeit und seine barbari 
schen Bufsübungen schrecken keineswegs ab. Die 
Ceremonieen finden alljährlich im Zusammenhänge mit 
der Prozession Nossa Senhora dos Passos am dritten 
Sonntage der Fasten statt. Die Flagellanten treten 
dabei in einem weifsen Anzuge auf, der am Rücken eine 
grofse ovale Öffnung zum Zwecke der Geifselung zeigt. 
Der Kopf der Brüder ist völlig mit einer weifsen Kappe 
verhüllt, so dafs man die einzelnen nicht erkennen 
kann. Nachdem der Priester eine Messe gelesen hat 
und die Klosterkirche verdunkelt ist, knieen die Ordens 
brüder in zwei Reihen neben der Kanzel nieder und 
geifseln sich, dann folgt die Prozession durch die Strafsen 
des Dorfes, wobei ein jeder sich abermals auf das 
heftigste geifselt; diese Selbstpeinigung wird fortgesetzt, 
nachdem man wieder in die Kirche zurückgekehrt ist, 
wobei namentlich gegen Ende der Tortur die Schläge 
immer heftiger werden. Howarth schreibt: „Als ich 
die Kirche wenige Wochen nach der Observanz im 
April (1888) besuchte, fand ich die Wände, die Sitze 
und Beichtstühle bis zu vier und fünf Fufs Höhe mit 
Blut beschmiert und bespritzt und ich zweifele nicht, 
dafs (nach verschiedenen Mitteilungen) Todesfälle infolge 
der Peinigung sich ereignen.“ 
Die auf Sao Miguel gebrauchten Marterinstrumente 
sind von zweierlei Art: Fig. 1, eine Geifsel aus Holz 
griff mit zwölf Lederriemen, ein jeder 30 bis 35 cm 
lang; die Zwölfzahl deutet auf die Apostel; Fig. 2, eine 
morgensternartige Kugel aus Wachs, in welches lanzet- 
fönnige Glassplitter von 3 cm Länge eingesteckt sind. 
Das Wachs zu diesen Kugeln stammt von den grofsen 
Kerzen, die im Esperanzakloster der Hauptstadt Ponta 
Delgada vor einem Christusbilde brennen; die Ordens 
brüder sammeln die herabrinnenden Wachstropfen und 
die Stümpfe der Lichter. Aus der ganzen Beschreibung 
dieser Geifsler von den Azoren wird man erkennen, 
dafs sie viel Ähnlichkeit mit jenen in Neu-Mexiko haben 
und gleich diesen auf die mittelalterliche europäische 
Quelle zurückzuführen sind. Dahin gehören auch die 
unter Fig. 3 und 4 abgebildeten Marterinstrumente, die 
nach Howarth sich in einer Sammlung in Twickenham 
befinden und aus Santiago de Chile stammen. Sie sind 
aus Draht mit hervorstehenden Spitzen geflochten. 
Auch auf den Azoren sollen die Behörden gegen diese 
Art Bufsübung ein geschritten sein. Der katholischen 
Kirche waren sie von allem Anfänge an ein Dorn im 
Auge. Von den Päpsten haben Clemens VI. und Boni- 
facius IX. die Übungen der Geifselbrüder verdammt; 
das Konzil zu Konstanz sprach sich gegen sie aus. — 
Trotzdem sehen wir die letzten Zuckungen noch am 
Schlüsse des 19. Jahrhunderts, die Anfänge lassen sich 
bis ins 12. und 13. Jahrhundert zurück verfolgen. 
Aus allen Erdteilen, 
Abdruck nur mit Quellenangabe gestattet. 
— Über das selten besuchte Lesbos giebt der französische 
Geologe L. de Launay in seinen kürzlich erschienenen Reise 
notizen (Chez les Grecs de Turquie. Les Pays et les Moeurs. 
Paris 1897) interessante Mitteilungen. Er hat die Insel zwei 
mal besucht, 1887 und 1894, und war bei dem letzten Besuch 
überrascht von dem Aufschwung, den die Insel und ihre 
Hauptstadt Mötelin genommen. Derselbe ist namentlich der 
Seifenfabrikation zu danken, welche ausschliefslich in grie-
	        
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