Aus allen Erdteilen.
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Blutrache, und steht hier oft angeborener Bruderschaft voran.
Vereinzelt gehen Erbstücke (Geschenke) an die Adoptivperson,
zuweilen den -stamm über. Sexualrechtlich steht die „künst
liche Verwandtschaft“ als Hindernis jeder Verbindung so
hoch , dafs selbst Eheleute behufs gütlicher Scheidung zum
Mittel der Verbrüderung greifen, um sofort dirimiert zu
sein. Aufser formal durch Speise oder Kelch, durch Bluts
tausch, Waffen oder Amuletwechsel geschlossen, entsteht sie
auch ipso jure durch Milchkindschaft, gemeinsame Pilger
schaft, Jordanbad, Brautführerschaft (Cognatio spiritualis?).
— Zu wünschen wären noch bestimmtere Nachrichten über
die N o t brüderschaft: Beschwörungsworte („Gott und heiliger
Johann“) sollen den Angerufenen zur Hülfe in der Not
„zwingen“ können (arabische und beduinische Analogieen sind
beigezogen); vom Mädchen in der Not gegen den Angreifer
selbst angewendet, können sie diesen — „wenn er einwilligt“ —
zum Blutsbruder und ungefährlich machen. — Kuriosa sind:
Einjähriges Geschwisterwahlverhältnis in Serbien durch
Ostereiergeschenk; erinnert an unser Vielliebchenschmollis.
— Seite 63: Ein Priester im montenegrinischen Grenzdorf
weiht sechs Nachbarn eines gemordeten Mädchens zu dessen
Blutsbrüdern, zum Zweck strenger Blutrache an den schul
digen Dalmatiern. — Seite 46: Bulgarischer Priester kate-
chisiert die Brüderschaftskandidaten: ob sie glauben an Gott
den Vater, den Sohn, den Heiligen Geist, an das Evangelium
und an das Feuer (sic! dreimal!).
Auf Verarbeitung, Ergänzung (hoffentlich auch genügende
Einteilung) des Materials läfst der philologisch doktorierende
Herr Verfasser in späteren Ausführungen hoffen.
Mannheim. v. Freydorf.
James Mooney: The Ghost-Dance Religion and the
Sioux Outbreak ofl89 0. (Extract-from the fourteenth
Annual Report of the Bureau of Ethnology.) Washington
1896.
Auf nahezu 600 Seiten, versehen mit 37 Tafeln und 48
Abbildungen , liefert uns hier Mooney eine ausgezeichnete
Monographie des grofsen Wiedererwachens altindianischen
Glaubens, der im Jahre 1890 den Westen der Vereinigten
Staaten beunruhigte und mit dem Namen der „Geistertanz
religion“ bezeichnet wird. Ähnliche „Revivals“, bei denen
die Suggestion eine grofse Rolle spielt und die unter das
Hauptstück von den psychischen Seuchen gehören, sind bei
den Kultur- wie Naturvölkern vielfach beobachtet worden.
Die Hau - Hau-Religion der Neuseeländer, die vor etwa 40
Jahren die Doppelinsel in Aufregung versetzte, bietet viel
fache Analogieen zu der Geistertanzreligion der Indianer, in
der sich die Hoffnung auf Wiederkehr der „guten alten Zeit“,
d. h. der Zeit vor der Ankunft der Weifsen und vor der Aus
rottung der Büffel, aussprach.
Mooney, bekannt als hervorragender Erforscher der In
dianei-, hat alle die verschiedenen Stämme besucht, die 1890
der merkwürdigen Bewegung sich anschlossen und da er das
Vertrauen der Leute zu gewinnen wufste und deren Sprache
redete, so ist es ihm gelungen, die Geheimnisse der Geister
tanzreligion zu erforschen und eine Geschichte derselben zu
schreiben, die vielfach von dem bisher bekannt gewordenen
abweicht. Der tiefere Inhalt der neuen Religion war ein
messianischer Glaube, die Hoffnung auf eine Wiederkehr des
goldenen Zeitalters. Alle Indianer, die gestorben wären,
würden sich wieder. aus ihren Gräbern erheben und ein ewiges
Leben auf einer neuen, schönen Erde führen. So ging die
Lehre von Stamm zu Stamm, aber eine Vertilgung oder Ver
treibung der Weifsen lag nicht im ursprünglichen Programme.
Die Hoffnung auf das Wiederemporblühen der Rothäute ist
schon öfter von indianischen Propheten ausgesprochen, wobei
sie als eine Vorbedingung die Abstinenz von allem hin
stellten , was von den weifsen Menschen herrührte. Bei der
Geistertanzreligion handelte es sich aufserdem um merkwür
dige Tänze und Gesänge, die ihren Ursprung im Westen der
Vereinigten Staaten genommen hatten und die genau be
schrieben und abgebildet werden. Erst später, bei den Sioux,
trat die Feindschaft gegen die Weifsen hinzu und führte zu
dem schrecklichen Blutbade von Wounded Knee, wo 200
Weiber und Kinder von den amerikanischen Truppen hinge
schlachtet wurden.
Aufser der Schilderung der Geistertanzreligion und ikx-er
Ausbreitung bringt das Werk aber noch eine Menge wert-
vollen ethnographischen Stoffes. Eine kui-ze Besprechung,
wie die vorliegende, kann ihm nicht gerecht werden ; dazu
würde es langer Auszüge bedürfen.
Aus allen Erdteilen.
Abdruck nur mit Quellenangabe gestattet.
— Am 4. Juni hat die chinesische Regierung den unteren
Lauf des Sikiang oder Westflusses, welcher bei Kanton
mündet, dem fremden Handel eröffnet, womit ein unmittel
barer Verti-ieb europäischer Wai-en nach dem chinesischen
Süden möglich wird, welcher bisher wesentlich in den Händen
der Franzosen von Tonking aus lag. Indessen ist nicht der
ganze untere Sikiang dem Handel freigegebensondern nur
eine Anzahl Städte an demselben sind eröffnet. Am fernsten
stromaufwärts liegt unter diesen Wutschau, schon in der
Provinz Kwangsi, doch ganz nahe der Grenze von Kwang-
. tung. Weiter abwäi-ts ist Samschui freigegeben, dessen Name
soviel wie Coblenz, Zusammenflufs, bedeutet, da hier der
Sikiang von Norden her den Pekiang aufnimmt und zahl-
reiche Kanäle und Nebenarme nach Kanton hinführen. Den
Fremden ist es auch gestattet, in den Flufshäfen von Taking,
Hsiuhing, Kumtsckuk und Kongmun Güter zu landen und zu
verkaufen, doch dürfen sie daselbst keine Etablissements er-
l-ichten.
— Über die geographische Verbreitung der See
säugetiere sprach Prof. Sclater am 16. März d. J. vor
der Zoological Society in London. Wassei-säugetiere, die ihr
Leben ganz oder zum gröfsten Teile im Wasser verbringen,
untei-liegen in Bezug auf ihre geographische Verbreitung
ganz anderen Gesetzen als die Landsäugetiere. Land bildet
eine unüberschreitbare Schranke für ihre Ausbreitung.
Gegenwärtig leben auf der Erde drei Gruppen von Seesäuge-
tiei’en. l.Die Pinnipedier, welche die Seehunde und Vei - -
wandte umfassen, die halb Wasser-, halb Landsäugetiere zu
nennen sind. 2. Die Sirenen, die hauptsächlich im Wasser
leben, und 3. die Cetaceen, die ausschliefslich im Wassei
leben.
Viele dieser Seesäugetiere haben eine weite Verbreitung,
andere ein sehr begrenztes Vorkommen. Auf Grund des
Studiums des letzteren schlägt Sclater vor, wie er bereits
1874 für die Landsäugetiere Landregionen angenommen, die
oceanischen Teile der Erde in folgende sechs See
regionen einzuteilen:
1. Die nordatlantische Seeregion oder Arctatlan-
tis, bestehend aus dem nördlichen Teil des Atlantischen
Oceans bis hinab zum 40. Grad nördl. Br.
Topomorpli, d. h. ausschliefslich hier voi'kommend, führt
Sclater von den Pinnipedien die Gattungen Halichoenis und
Cystophora an. Die Sirenen sind „lipomorph“, d. h. fehlen
gänzlich. Von den Zahnwalen (Odontoceten) sind die
Gattungen Hyperoodon, Delphinapterus und Monodon topo-
morph.
2. Die mittelatlantische Seeregion oder Mesatlan-
tis, bestehend aus dem mittleren Teil des Atlantischen Oceans
bis herunter zum Wendekreis des Steinbocks, mit den topo-
morphen Gattungen Monachus und Manatus; aufsei-dem ver
schiedene Cetaceen.
3. Die indische Seeregion oder Indopelagia, um-
fafst den Indischen Ocean bis ungefähr zu demselben Grad
südl. Br. und erstreckt sich von der Küste von Afrika im
Westen bis nach Australien und den grofsen Südseeinseln im
Osten. Die Pinnipedier fehlen hier gänzlich, von den Sii-enen
ist Halicore topomorph. Drei Wale und zahli-eiche Del
phinarten.
4. Die nordpacifische Seeregion oder Arctirenia
umfafst den nördlichen Teil des Stillen Oceans bis herab
zum Wendeki-eis des Krebses. Neben di-ei anderen Ax-ten
kommen als topomorphe Arten Phoca fasciata, sowie drei
Arten von Ohreixx-obben (Otariidae) vor. Früher kam auch
die berühmte Stellex-sche Seekuh (Rhytina Stelleri) in dieser
Region vor. Von Walen ist Rliachianectes glaucus topomox-ph.
Daneben drei andere Gattungen von Walen und viele Del
phinarten.
5. Die mittelpacifiscke Seeregion oder Mesirenia
umfafst den zwischen den Wendekreisen liegenden Teil des
Stillen Oceans. Früher kamen Ohrenrobben und See-Ele-
fantexx (Macrorhinus) in dem Gebiet vor, jetzt sind nur
fünf Gattungen von Walen und zahlreiche Delphinartexx aus
demselben bekannt.
6. Die südliche Seeregion oder Notop ela gia
umfafst den Südpolarocean rund um die Erde südlich von