158 Die Fahrt der „ Germania " und der
wir Regen . Während wir Nachmittags spazieren gingen , teten die Steuerleute den Christ bäum auf , indem sie in einen Stab Besenreiser wie Tannenäste einfügten . Für die Lichter hatte ich einen Wachsstock gespart . Papierketten und gebackene Lebkuchen zierten den Baum ; die Leute hatten dem Capitän einen Knappsack und eine Revolvertasche gemacht : wir öffneten die Blechkiste von Professor Hochstätter und die andere von der Geologischen Reichsanstalt , deren Inhalt uns viel Spaß machte . Dann tranken wir ein Gläschen Portwein , fielen über die alten Zeitungen her , welche sich in der Kiste fanden und verloosten die Geschenke von Hochstätter . In stiller Weihe ging das Fest vorüber ; welche Gedanken an der Seele vorbeizogen — sie waren wohl bei Allen gleich — , schreibe ich nicht nieder . Wenn diese Weihnachten die letzten sind , die wir erleben , so wa - ren sie immer noch schön genug . Ist uns aber eine glückliche Rückkehr beschieden , so werden die nächsten Weihnachten noch ein größeres Fest sein ; das walte Gott ! "
Das neue Jahr begrüßte die Eisfahrer sehr unfreundlich ; der Januar 1870 brachte ihnen die schwersten Gefahren . Am 2 . Januar waren sie auf 67° 47' N . B . und 34° 1' W . L . dicht unter der Küste in einer Bai , die sie die „ Schreckensbucht " nannten . Von jenem Tage erzählt eins der Tagebücher : „ Ein plötzliches starkes Dröhnen unserer Scholle jagte uns Alle von unseren Lagern empor ; wir hatten keine Ahnung , was dieses Getöse bedeuten könne ; draußen wüthete das Wetter unaushalt - sam — wäre es hell und klar gewesen , so würden wir in noch größerer Unruhe gelebt haben . Obgleich unser Eingang völlig verschneit , ja das ganze Haus mehr als einen Fuß tief im Eise begraben war , liefen Alle hinaus ; aber natürlich konnte man keine zehn Schritte weit fehen und kein anderes Lärmen nehmen , als das Wüthen des Sturmes . Wir legten uns nun im Gange platt nieder , das Ohr gegen den Boden , und ver - nahmen ein Geräusch , wie das Singen des Eises , wenn es stark gepreßt wird , und wie das Reiben des Eises , wenn es über Klippen hinweggeht . Es war kein Zweifel : wir befanden uns in sehr gefahrvoller Lage . Angekleidet legten wir uns um 2 Uhr Nachts auf unsere Schlafsäcke und erwarteten sehnsüchtig das Tageslicht . Das Wetter ward schlimmer und schlimmer . Etwa um 10 Uhr Morgens gingen Einige von uns , als der Wind etwas abböhete und der Schnee nicht so stark gepeitscht wurde , durch tiefsten Schnee nach den : Platze , neben dem die „ Hansa " gelegen hatte . Etwa 200 Schritte vom Hause entfernt , fahen wir zu unferm größten Entsetzen die aufgethürmte Grenze un - seres Feldes dicht vor uns . So weit wir sehen konnten , war unser Feld zertrümmert . Dunkele Gegenstände , welche hin und wieder in dem dichten Schneegestöber sich erkennen ließen , waren die Eistrümmer unserer Scholle . Sie ist in zahlreiche Stücke zerbrochen , von welchen das , auf dem wir wohnen , freilich noch das größte ist , aber auch bei dem nächsten Schieben zertrümmern kann . Wir machten unsere Brottaschen fertig , um bei der schnellsten Flucht wenig - stens noch auf kurze Zeit das Leben fristen zu können ; aber in diesem Unwetter sinkt man bei jedem Schritt bis über die Hüf - ten in den Schnee und eilt vielleicht gerade in die größte Gefahr hinein .
Nach diesem Tage wiederholten sich mehrfach ähnliche Sce - nen ; die schlimmste Nacht war die vom 11 . auf den 12 . nuar , als die Boote in Gefahr waren , weggebrochen zu werden . Die Mannschaft theilte sich in zwei Parthien und nahm von einander Abschied , jede Parthie stand fertig zum Aufbruch neben einem der Boote — das Großboot war ganz aufgegeben . Bei dem furchtbaren Wetter zog sich eine Eiskruste über das Gesicht , die mit dem Messer entfernt werden mußte , wenn man etwas genießen wollte ; der Schnee ging durch alle Kleider hindurch . Mehreren erfroren einzelne Gliedmaßen und einige der Tage - bücher konnten für längere Zeit nicht weiter geführt werden , da die Hände erfroren waren .
Am 14 . Januar war das Eisfeld bereits so weit abgebro - chen , daß das Haus verlassen werden mußte ; fünf Tage hatte man während der Nacht in den Booten zu campiren , die mit
ansa " nach der Ostküste von Grönland .
Verdecken versehen waren . Am 19 . Januar wurde ein neues Haus fertig , das aus den Trümmern des alten in Schnee als Mörtel erbaut war . Aber es war nur 14 Fuß lang und 6 Fuß breit , nur 6 Personen konnten in ihm schlafen , die übrigen ten in einem kleinen Kochhause und in den Booten ihre Nacht - ruhe halten . So verbrachte man 108 Tage bis zum 7 . Mai . Das große Eisfeld war nur noch ein Stück Treibeis ; als es verlassen wurde , betrug seinUmfang kaum 200 Schritt . Die Kleinheit war in der Region der schwimmenden Eisberge ein unverkennbarer Vortheil ; die Scholle wand sich oftmals zwischen die Kolosse hindurch , als werde sie von unsichtbarer Hand gesteuert ; sie war bisweilen rings von gewaltigen Eisbergen umgeben , wie die Sohle eines tiefen Ge - birgskefsels ; dann öffnete sich wieder die Trift . Manches fende Schauspiel bot sich den Blicken , so z . B . am 19 . März . In einem der Tagebücher lesen wir : „ Soeben hatten wir einen imposanten Anblick , das großartigste Schauspiel unserer ganzen Reise . Wie schon erwähnt , sahen wir in den letzten Tagen große Massen in der Linie unserer Trift liegender Eisberge . Wir waren gegen Mittag auf einen dieser Kolosse losgetrieben und befanden uns in seiner unmittelbaren Nähe . Er stauchte den Gang des Eises auf , somit auch unsere Scholle . Das Eis drängte hart gegen ihn an und bäumte sich empor . Der Eisberg hatte über Wasser eine Höhe von etwa 100 Fuß , eine Länge von etwa 3000 , eine Breite von etwa 800 Fuß ; seine Wände erho - ben sich steil und senkrecht aus dem Wasser , jedoch waren auch Stellen vorhanden , wo das Besteigen möglich gewesen wäre . Wir verlangten nicht danach , denn ohne Unterlaß polterte und rumorte es in der Eismasse . Wenn eine Borste sprang , war es ein Geräusch , wie die Gewehrsalve eines ganzen Bataillons ; dann grollte und murrte es geheimnißvoll in seineni Innern , als ob Geister darin ihr Wesen trieben . Das Aeußere war zerborsten und zerklüftet und schwarze Höhlen öffneten ihren Schlund . Um 5 Uhr setzte die gewaltige Maffe sich wieder in Bewegung , von der Sonne prachtvoll beleuchtet .
Am 7 . Mai verließen die unverdrossenen Männer das Eisstück , das sie 200 Tage getragen hatte . Es war auf dem 61° 12' N . und 42 W . Die Südspitze Grön - lands mit ihrer schweren , der Eisscholle Gefahr bringenden Dünung , das Eap Farewell mit feinen Stürmen konnte nicht mehr fern sein ; der Proviant war sehr zusammengeschmolzen ; nach der Küste zu zeigte sich offenes Wasser . Die drei Boote , die stets segelfertig waren , lagen mit ihrem Zubehör nach Ver - lauf von vier Stunden in schiffbarem Wasser ; die Mannschaft vertheilte sich in die Boote : Capitän Hegemann führte die „ Hoffnung " , Steuermann Hildebrandt den „ Bismarck " , Steuer - mann Bade den „ König Wilhelm " ; so waren die Boote ge - tauft . Ein dreifaches Hurrah , und fort ging es unter Segel ; aber nur zwei Tage sollte die Fahrt dauern . Bis auf 3 See - meilen hatte man sich der Küste genähert , da verhinderten un - durchdringliche Eisbarrieren jedes Vordringen . Man mußte sich entschließen , die Boote über das Eis zu ziehen und aufs Neue auf dem Eise zu campiren . Jene Arbeit dauerte vom 10 . Mai bis 4 . Juni , und diese 25 Tage verlangten bei halben nen unerhörte Anstrengungen von der Mannschaft . Kaum 500 Schritt waren die Boote in einem Tage aus der Stelle zu brin - gen ; auf Spirituslampen mußte die Nahrung erwärmt werden ; die Schneeblindheit brach aus , fo daß die Blendgläser von den astronomischen Instrumenten die verloren gegangenen Schnee - brillen ersetzen mußten . Am 4 . Juni ward das Land erreicht , die öde Felseninsel Jdluitlik auf 61 " N . Auf dem Eife ward gerastet und Pfingsten gefeiert . Vom 6 . bis 13 . Juni fuhren die drei Boote der „ Hansa " an der Küste herunter längs der steilabfallenden Klippen , die kaum die ersten Anfänge einer Vegetation zeigten . Trotz mancher Hindernisse und heftiger Stürme gelang die Fahrt ; am 13 . Juni öffnete sich eine breite Bucht , es zeigte sich Grün ; rothe Häuser wurden sichtbar ; Men - schen standen auf den Klippen und schauten erstaunt der räthsel - haften Fahrt der Boote zu ; ein Kajak eilte , sich ängstlich an der Küste haltend , vorüber . „ Das ist ja unsere deutsche