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von Negelein :
göttinnen , die Keren , lebendig . Zum psychologischen Verständnis der Idee vom Totenweg dringen wir am sichersten vor , wenn wir hören , class nach der Anschauung der Avestatexte auch die Seele , die ins Paradies gelangen soll , diesen ( dreitägigen ) Weg zurückzulegen hat . Ahuramazda verbietet die Erforschung der Wanderung zum Paradiese mit den Worten : „ Fraget sie ( die ins Paradies gegangene Seele ) nicht ; sie kommt auf dem vollen Wege der Trennung des Leibes und der Seele . " 1 ) Hier wird also ganz klar die dem Totenpfade zu Grunde liegende Idee der Scheidung von Leib und Seele , des materialistischen und amnestischen Princips , als solche angegeben . Der Beweis dafür , dass die Konservierung des Körpers jedem eigentlichen Seelenglauben im Wege steht , liegt auch darin , dass z . B . auf Bali der Tote mittels der Verbrennung sogleich in Indraloka eingeht , während ihm sonst ein langer Wanderweg bevorsteht . 2 )
Wir haben die Idee des Totenweges bei den verschiedensten Völkern wiedergefunden . Wir wollen jetzt versuchen , die Eigenart dieses finsteren Pfades zu ergründen , soweit dies zur Konstatierung seiner gesonderten Existenz notwendig ist . Abgesehen davon , dass er überall als beschwerlich und finster gilt3 ) , ist er namentlich auch der gerade Weg , der keine Kurven und hin - und herführende Schlingungen kennt — so gerade , so unabweislich in ein unbekanntes Land führend , wie der Tod selbst . Dafür einige Belege :
Das wütende Heer in Rossdorf durchzieht die Häuser geradeaus . Im Würtembergischen zu Neubrunn durchzog das wütende Heer immer drei Häuser , in welchen drei Thüren gerade hintereinander waren und ebenso das Nachtvolk auf dem Klaeslefeld . 4 ) Ganz unbezweifelbar hängt damit der noch heute selbst in gebildeten Kreisen vorhandene Aberglaube zusammen , dass der Blitz da einschlägt , wo zwei hintereinanderstehende Thüren offen sind ; denn der wilde Jäger mit seinem wütenden Heer ist ein seelenentführender Sturm - und Gewitterdämon . — - Das zwischen dem litauischen und deutschen Kirchhof gebaute Haus in Ragnit stürzte sammen , weil es den Geistern der Verstorbenen im Wege stand . Die Scheune in Oberkainsbach muss stets offen stehen , sonst wird sie von einem durchfahrenden Geisterzug des Rodensteiner zertrümmert . 4 ) Man vergleiche nnn den Rat , den der wilde Jäger im Mecklenburgischen häufig giebt : „ Halt den Mittelweg " , d . h . : „ Kreuze mir nicht den Pfad . " 5 ) Er zerreisst diejenigen , welche sich ihm in den Weg stellen . So verbietet auch ein ostpreussischer Aberglauben , den Weg zu kreuzen , den eine Leiche gefahren ist . Eine Analogie dazu bietet die alte Idee von dem Toten - oder Heiwege , der , w^enn kein Unglück geschehen soll , lediglich
1 ) Geiger , Altiran . Leben , 281 . — 2 ) Bastian , Zeitschr . f . Etlmol . 21 , 123 . — 3 ) Vgl .
Anm . 2 auf S . 150 und den vorausgegangenen Hinweis auf die stereotype Mitgabe von
Lichtern ( Lämpchen ) in das Grab . — 4 ) Bastian , Ztschr . f . Etlmol . , 21 , 149 . — 5 ) Bartsch ,
Mecklenburgische Sagen , 1 , 1 ff .