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Arendt:
war, dass die Yerse sich auf die persönlichen Verhältnisse des Betreffenden
beziehen miissten. Zuerst erhob sich der Gelehrte und sprach:
Mein Pinsel ist tadellos spitz,
Mein Papierbeschwerer ist tadellos rund.
Wenn nächstens die Prüfung für den höchsten litterarischen Grad stattfindet,
Dann wird mein Name als erster auf der Liste der glücklich Durch¬
gekommenen figurieren.
(Die Chinesen bedienen sich beim Schreiben, um ihr dünnes, leicht
verschiebbares Papier niederzuhalten, stets eines metallenen Beschwerers
entweder in Form eines an den Ecken abgerundeten Rechtecks oder eines
Ringes.)
Es erhob sich sodann der Offizier und sagte: »
Meine Pfeile sind tadellos spitz,
Mein Bogen ist tadellos rund,
Wenn nächstens die Prüfung für den höchsten militärischen Grad stattfindet.
So wird mein Naine als erster auf der Liste der glücklich Durchgekommenen
figurieren.
Jetzt wäre die Reihe an den Bauer gekommen. Dieser aber, litterarisch
ungebildet, erhob sich zwar gleichfalls, brachte aber kein Wort hervor,
sondern stand lautlos da, von Schamröte übergössen. Da tritt seine junge
Frau, welche das nicht länger mit ansehen kann, vor und fragt, ob sie an
Stelle ihres Mannes einen Vers machen dürfe. Es wird ihr gestattet und
sie sagt nun, ohne zu säumen:
Meine Finger sind tadellos spitz,
An meinem Handgelenk das Armband ist tadellos rund,
Wenn mir nächstens Freude zu teil wird,
So werde ich Zwillingen das Leben schenken, von denen der eine die
höchsten Stellen in der Civil-Carrière, der andere die
höchsten Stellen im Militär zu bekleiden bestimmt ist.
Dergleichen Verse verlieren natürlich viel in der Ubersetzung, be¬
sonders wenn sie sich, wie hier, auf speziell chinesische Verhältnisse be¬
ziehen. Um von der Kürze und dem Klange des chinesischen Originals
dem Leser wenigstens eine Vorstellung zu geben, teile ich den Vers der
Bäuerin nachstehend auch in lateinischer Umschrift mit:
Wò-ti ch¿-trou chièn-shang-chién,
Wàn-shang chó-tsze yüán-shang-yüán.
Hòu-lai wó yao tê-liao hi,
Yì-t ai shèng-hia liá chuang-yüán.