Genie und Talent .
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Oder , es anders zu sagen : seine Kunst ist ihm nicht nur das Höchste , sie ist ihm Alles ; er steht mit seinem Werke auf , wie er mit ihm zu Bette gegangen ist und , wo möglich , noch in der Nacht davon geträumt hat . Die Welt geht ihm in seinem Werke unter und eben deshalb schafft er in seinem Werke eine Welt . « — Es war gewiss ein Irrtum , wenn Fr . A . Wolf einmal sagte : »Genie ist Fleiß« ; aber es bleibt eine ewige Wahrheit , class kein Genie ohne Fleiß das Höchste erreichen kann . Nur die Begabung gibt die Natur , die Kunst des rechten Gebrauchs der angeborenen Gabe erwirbt sich der Mensch allein durch mühevolle Arbeit .
3 .
Diese Scheidung dessen , was Natur gibt und Kunst erwirbt , führt uns schließlich in Betreff der angeborenen Kraft noch zu der psychologisch interessanten Frage , wie es sich wohl mit der Vererbung von Genie und Talent halten möge .
Einige neuere Werke , so insbesondere G al ton s 1869 erschienenes Buch : Hereditary genius und Ri bots 1873 schienenes Buch : L'hérédité , das auch 1876 durch Dr . Hotzen ins Deutsche übersetzt ist , bieten uns zur Beantwortung dieser Frage nutzbare Materialien . Die Bücher haben ihre baren Mängel . Gal tons Standpunkt der Betrachtung ist , wie auch Rib o t mit Recht hervorhebt , zu vorwiegend statistisch , und Ribot hält bei der Frage nicht genug aus einander die Vererbung allgemeiner Geistesregsamkeit in einer Familie und die Vererbung bestimmer Begabungen , kommt daher für die hier vorliegende Frage nicht zu den Schlüssen , die sich aus dem gesammelten Erfahrungsmaterial ziehen lassen . Wir glauben nach dieser Richtung hin noch einen Schritt weiter gehen zu können .
Die Erfahrung nämlich lehrt , dass auch schöpferische Begabungen sich forterben , aber dass die Begabungen sich nur äußerst selten auf gleicher Höhe halten . Talent erzeugt Genie , und Genie hinterlässt Talent . Aeschylos' Sohn Euphorion und sein Neffe Philokles scheinen einige Be - *