Die ethische Idee der Vollkommenheit .
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kommnere Darstellungen und Ausführungen des seit Anfang feststehenden Ideals vermittelst der wachsenden Hülfsmittel , welche die Cultur schuf ; sondern sie ließen die Ideen selbst immer reiner und immer reicher und immer idealer erfassen . Und selbst das persönliche Wohlwollen , wie es sich heute kund gibt , ist ein anderes , als das welches in alten Zeiten und unter Wilden sich zeigt ; und ein anderes , höheres wird uns die Zukunft sicherlich lehren .
Wenn es nun gewiss eine trostreiche Ansicht von der Geschichte ist , dass in ihr nicht nur ein Anwachsen von Bedürfnissen und von Mitteln zur Befriedigung derselben geboten werde , sondern dass in ihr auch das Gute und das Heilige wachse , dass in ihr auch , der intelligible Mensch sich entwickle ; wenn solche Ansicht neben der Größe auch die Würde der Geschichte zeigt , und nur darum Größe , weil sich steigernde Würde : so scheint es andrerseits unserer Pietät zu widersprechen , dass wir uns unsre Väter , deren losigkeit wir gern zugestehn , die mit unvollkommner schaft und Kunst und Industrie gelebt haben mögen , auch niedriger an Sittlichkeit denken sollen , als wir uns fühlen .
Und hier zeigt sich nun der Unterschied zwischen ethischer Einsicht oder Erkenntnis der ethischen Ideen und der Macht der Sittlichkeit . Die ethischen Anforderungen , die Ideale des Guten und Rechten und Schicklichen , das Gewissen , entwickeln sich in der Geschichte , in den Gesellschaften ; die Grund - Pflicht des Einzelnen aber ist , sich dieses allgemeine Gewissen anzueignen und demselben volle Macht über sein Wollen zu verstatten . Diese Pflicht ( und sie umfasst die ganze Sittlichkeit des Einzelnen ) mögen unsere Väter in höherem Maße geübt haben , als wii . Das höhere Ideal , das wir uns vorstellen , gehört niemand von uns , es ist in der Geschichte gestaltet . " Das erste Gefühl , das in uns entsteht , sobald wir uns unserer Stellung als Einzelner in der Gesammt - heit bewusst werden , ist Demut , und dann folgt Dankbarkeit gegen die Gesellschaft , in der wir erzogen sind . Aber die erlaubte Freude darüber , dass wir heute in so entwickelter Zeit leben , stört nicht die pietätsvolle Hochschätzung der
Zeitschr . für Völkerp , syeli . und Sprache . Bd . XI . 2 .