Ueber das volksthümliche Epos der Franzosen .
Oeffentliche Vorlesung
von
Adolf Tobler .
* ylcm kann etwa begeisterte Freunde des nordischen AlterthumS ihr Bedauern aussprechen hören , daß die selbständige und streng nationale geistige Entwickelung des deutschen Volkes , von der denn doch noch allerlei Kunden und Zeugnisse aus uns men sind , so früh unterbrochen worden sei , daß so srüh eine nicht aus dem Schoße der Nation selbst hervorgegangene , über den damaligen Stand ihrer Gesittung weit hinausragende und mit Feuer und Schwert sich Bahn brechende Religion das Wachsthum der Keime künstlerischer Thätigkeit gehemmt und unterdrückt oder doch nicht frei habe gewähren lassen , daß cs Deutschland nicht wie Island vergönnt gewesen , eine von dem Einflüsse unberührte , von der Stammesreligion gene und getragene Literatur sich entfalten zu sehen , Neidisch blicken sie auf die Griechen , ihre wenn auch nicht ganz , doch in weit höherem Maße eigene Cultur , ihre durch und durch thümliche Dichtung , und klagen , daß das reich begabte deutsche Volk durch unwiderstehliche Einwirkung von außen um den Ruhm betrogen worden sei , den Erzeugnissen des griechischen Geistes in gleichem Grade unverkümmerte Blüthen seines Wesens gegenüberzustellen . Hier soll die Frage nicht erledigt werden , ob die deutsche Nation für die Einbuße an Eigentümlichkeit nicht genügenden Ersatz gefunden habe . Dagegen wollen wir daran erinnern , daß beinahe jedes Volk , sicher wenigstens die
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