Ueber italiänische Volkspoesie .
Eine Vorlesung
gehalten vor einem gemischten Publikum zu München im Marz dieses Jahres . Von Paul Heyse .
^eit wenigen Monaten ist Italien ein Gegenstand des euro - päischen Interesses geworden . Politische Verwickelungen , deren Fäden weit über die Grenzen der Halbinsel hinausreichen , haben sich hier zu einem verhängnißvollen Knoten geschürzt , und noch wissen wir nicht , ob er zerhauen oder gelöst werden wird . In einem solchen Augenblicke der Spannung tritt das literarische In - teresse hinter das politische zurück , und unwillkürlich werden wir versucht , auch die ästhetische Production nach weltgeschichtlichen Maßstäben zu messen . Dieser Standpunkt ist an sich kein un - gerechter . Auch für die Entwickelungsstusen und Erscheinungs - formen des Schönen ist die Weltgeschichte das Weltgericht . Den - noch aber erscheint eine politisch bewegte Zeit nicht günstig zur Erörterung ästhetischer Fragen . Harmonisch abgeschlossene Schö - pfungen , die im Schooße des Friedens für den Genuß friedlicher Menschen entstanden sind , genügen den vom Weltlärm aufgereg - ten Gemüthern schwerlich . Productionen , die künstlerisch tet weit geringer zu schätzen sind , gelangen vielleicht durch zu - fällige Beziehungen und Anspielungen zu einer Bedeutung für den Augenblick , die mit dem Anlasse wieder verraucht . Mit Einem Wort : Die Gefahr liegt nahe , die wahren geschichtlichen Maß - stäbe mit untergeschobenen tendenziösen zu verwechseln .
Diese Gefahr nun scheint in besonderer Stärke zu erwach - sen , wenn ich in einer Zeit , wo über Italiens Zukunft die Wür - i 3 . , 13