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Die Fastenzeit.
läßt; deshalb gehört es auch der Sitte nach zur Trauer. hier
ist die Aufmerksamkeit auf einen schwarzen Punkt gerichtet,
einen Punkt, der nicht weggeht, sondern das innere Auge
gleichsam hupnotisiert: das Bild des geliebten Toten. Es raubt
den Hinterbliebenen die Lust zu leben; es schnürt ihnen die
Kehle zu und macht sie gleichgültig gegen alle Genüsse dieser
Welt. Die Abstinenz ist die natürlichste Gebärde der konven—
tionellen Trauer, ihr stehendes Sumptom.
Daher auch die Jünger Christi beim Tode ihres Meisters
von selber fasteten; er hatte vorausgesagt, daß sie das tun
würden, wenn der Bräutigam von ihnen genommen wäre.
Alljährlich fasteten sie an den Gedächtnistagen, und zwar
anfänglich vierzig Stunden lang, von Karfreitag nachmittag
bis zum Ostersonntag, die Zeit seiner Grabesruhe; außerdem
jeden Mittwoch, als am Tage des Verrats, und jeden Freitag.
Weil aber Christus selbst vor Antritt seines Lehramts vierzig
Tage und vierzig Nächte gefastet hat, sind für die vierzig Stunden
allmählich vierzig Tage eingesetzt worden, das heißt ganze
sechs Wochen, vom Aschermittwoch an gerechnet, und es kam
das jejunium quadragesimale auf, noch heute eine heilige
pflicht und Observanz der Kirche. Vom Asschermittwoch bis
zum Ostersonnabend sind eigentlich 46 Tage, aber die Sonn—
tage zählen nicht, an Sonntagen wird nicht gefastet. Die Katho—
liken haben sich in dieser Periode der Sleischspeisen zu enthalten;
in der griechisch⸗katholischen Kirche sind von der zweiten Woche
ab auch noch Butter, Milch und Cier verboten, in den drei
letzten Tagen der Karwoche nur Wasser und Brot erlaubt.
Die Vierzig gibt in den romanischen Sprachen das Wort für
die Fastenzeit her; sie heifzt quadragesima, italienisch quaresima,
französisch careme. Die Griechen haben den alten Uusdruck
morcio, der den zweiten Tag der heidnischen Thesmophorien
bezeichnete; das Prädikat vqoric, nüchtern, mit leerem Magen,
findet sich schon im Homer, davon wurde das Zeitwort vnorcöeiv
abgeleitet, dem unser fasten entspricht. Die Russen sagen: