Kühne Wanderer auf Abwegen
Kulturwissenschaftliche Überlegungen zum Abseitigen
Silvy Chakkalakal | Katrin Amelang
in Jules Vernes Roman Reise nach dem Mittelpunkt der Erde (1864) findet Otto
Lidenbrock, Professor der Mineralogie und Geologie, die verschlüsselte Bot-
schaft des isländischen Alchemisten Arne Saknussemm, der in einem Manu-
skript den Eingang zum Mittelpunkt der Erde beschreibt: »Steig hinab in den
Krater des Sneffels Yocul, welchen der Schatten des Skartaris vor dem ersten
juli liebkoset, kühner Wanderer, und Du wirst zum Mittelpunkt der Erde gelan-
gen. Das hab ich vollbracht. Arne Saknussemm« (Verne 2012, 31). Daraufhin
versucht Lidenbrock enthusiastisch, seinen Neffen Axel dazu zu überreden,
das Wagnis einer solchen Reise auf sich zu nehmen, um die Tiefen der Welt
zu ergründen. Axel, der gleichzeitig als Ich-Erzähler der Geschichte fungiert,
empfindet dieses Vorhaben aufgrund des wenig Vertrauen erweckenden Doku-
ments und dessen seltsamen Informationen jedoch als aberwitzig, wie sich in
folgendem Dialog zeigt:
»- Der Snäfields Jöcul?
Der ist's, ein fünftausend Fuß hoher Berg, einer der merkwürdigsten
auf der Insel, und gewiß der berühmteste der ganzen Welt, wenn sein
Krater den Eingang zum Centrum der Erde bildet,
Aber das ist unmöglich! rief ich mit Achselzucken, und gegen eine sol-
che Annahme mich sträubend.
- Unmöglich! erwiderte der Professor Lidenbrock mit strengem Ton.
Und warum?« (ebd., 35)
‚Abseitig« scheint die richtige Charakterisierung eines Forschungsvorhabens zu
sein, das auf einem geheimnisvoll verschlüsselten Manuskript basiert; »abwegig« -
ım wahrsten Sinne des Wortes -, da es an einen entlegenen Ort der Welt entführt
ınd dort den Abstieg in einen Vulkan propagiert. »Unmöglich!« ruft der Neffe aus,
ım den Onkel von seinem abseitigen und abwegigen Vorhaben abzubringen. Und
doch führt das Abseitige in das Zentrum der Erde, präsentiert sich dort den muti-
gen, sich aufungewohnten Wegen befindenden Wissenschaftlern eine unbekann-
te prähistorische Welt. So entgegnet der alte Professor auf die ängstlichen Einwän-
de seines Neffen: »Was Du Dunkelheit nennst, ist für mich Licht« (ebd., 36).
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