von einer Faszination für das Exotische gekennzeichnet war, die das Wunderba-
re und Poetische des Alltags statt dessen Norm- und Regelhaftigkeit betonte, die
mit künstlerischen und psychologischen Experimenten Zugang zu alternativen
Ebenen der Wirklichkeit suchte und mit spielerischen und literarischen Darstel-
|ungsweisen experimentierte (Clifford 1981). Auch nach dem Zweiten Weltkrieg
tauchten in verschiedenen Ländern immer wieder surrealistisch inspirierte For-
schungen in der Ethnologie auf, besonders auffällig im Kontext der gesellschaft-
lichen und universitären Reformbestrebungen um 1970 sowie später im Zuge
der Postmoderne- und Writing Culture-Debatten (Wellgraf/ Schwanhäußer
2015).! Auch wenn die hier in einem vergleichenden Überblick vorgestellten Au-
toren sich auf sehr unterschiedliche und teilweise kritische Weise zum Surrea-
lismus verhielten, möchte ich sie im Rückblick betrachtet als eine surrealistische
Avantgarde der deutschsprachigen Ethnologie darstellen. Als eine Avantgarde,
die ähnlich wie zuvor die Pariser Surrealisten, vom Rand her die etablierte Eth-
nologie herausforderte und nachhaltig veränderte.
Fritz Kramer: Perspektivenwechsel
[m Zentrum des ethnografischen Werkes von Fritz Kramer stehen das Motiv
des Perspektivenwechsels sowie eine damit verbundene Reflektion der Mög-
lichkeiten ethnografischen Forschens und Schreibens (Rees 2005). Waren die
französischen Surrealisten intuitiv fasziniert von der Konfrontation und Kom-
bination kulturell disparater Versatzstücke, so hat Kramer das für die Ethnolo-
gie grundlegende Motiv der wechselseitigen Spiegelung im jeweils Fremden
wissenschaftshistorisch, erkenntnistheoretisch und empirisch aufgearbeitet.
Den Prozess der gesellschaftlichen Selbstkonstitution durch Abgrenzung vom
Anderen interpretiert er in Verkehrte Welten. Zur imaginären Ethnografie des
19, Jahrhunderts (1977) als verzerrende Aneignung des Fremden durch Euro-
päer_innen und in Der Rote Fes, Über Besessenheit und Kunst in Afrika (1987)
als rituell vermittelte Abwehr des europäisch Fremden durch Afrikaner_innen.
Mit dem Titel »Verkehrte Welten« spielt Kramer darauf an, dass im 19.
Jahrhundert die Ethnologie die ihr fremden außereuropäischen Kulturen in
erster Linie als verfremdetes Negativbild der eigenen Kultur betrachtete. Es
handelte sich um eine »imaginäre Ethnografie«, die auf einer grundlegenden
Unterscheidung zwischen »Zivilisierten« und Wilden« sowie einer Reihe davon
abgeleiteter Dichotomien bestand, etwa den Gegenüberstellungen von Ratio-
naalität und Irrationalität, von Naturzustand und Entfremdung oder von Des-
aotie und bürgerlicher Ordnung (Kramer 1977). Das Verhältnis der Ethnologie
zum Imaginären rekonstruiert Kramer im ersten Teil dieser Studie anhand der
frühen, stark romantisch geprägten deutschsprachigen Ethnologie des 19, Jahr-
hunderts. Autoren wie Friedrich Creutzer begriffen ethnografisches Forschen
oO
4.
5
el
a
v
rs
[
CM
5R