Die Gleichzeitigkeit der Projektionen macht es indes unmöglich, die Filme zur
zleichen Zeit zu sehen. Einen archimedischen Standpunkt gibt es nicht. Die Zu-
schauer_innen müssen sich daher entscheiden. Zwischen der Immersion in die
Perspektive, die von den jeweiligen Filmen geboten wird, oder dem Herstellen
einer eigenen Schnittfassung, indem sie ihre Aufmerksamkeit zwischen den
Leinwänden aufteilen. Die Operation der Montage ist daher in die Köpfe der Be-
trachter_innen verlegt, die den Schnitt durch die Drehung ihres Kopfes körper-
lich ausführen müssen. Mit Bezug auf Edward Said (1993) möchte ich dies als
sin »kontrapunktisches« Montageverfahren bezeichnen, welches die unsicht-
jaren Verbindungen aufzeigt, die zwischen den Inseln bestehen. Es betont die
kulturelle wie geographische Nähe beider Lebenswelten und legt sie im Ausstel-
lungsraum physisch offen. Die Arbeit widersetzt sich so der Trennungspolitik
des europäischen Grenzsystems, welche die kulturelle Einheit der Inselgruppe
der Komoren entlang einer militarisierten Grenze zwischen einem globalen
Norden und einem globalen Süden trennt. Die Installation leistet eine solche
Dopplung der Perspektive auch hinsichtlich des Beobachtungsmaßstabs. Sie
dietet einerseits eine Mikroperspektive auf konkrete lebensweltliche Situatio-
nen und andererseits eine Makroperspektive auf einen größeren postkolonia-
len Raum, der geprägt ist von politischer und ökonomischer Ungleichheit. Sie
erlaubt so den fließenden Übergang zwischen zwei Rezeptionshaltungen: einer
Immersion in die verorteten Perspektiven der gefilmten Subjekte und einem re-
lexiven Rückbezug auf die Wahrnehmungsleistung der Betrachter_innen, die
diese Perspektiven zueinander in Beziehung setzen müssen.
Zum Schluss möchte ich noch aufzeigen, wie die produktive Reibung zwi-
schen diesen beiden Modi ästhetischer Erfahrung selbst mit einer von Migrati-
an geprägten Welt korrespondiert. Auf der einen Seite verwirklicht eine solche
Abb. 4: A Tale of Two Islands Ausstellungsansicht. Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest. Fotograf:
Sven Heine, 2012.