Jens Watolla
Menschheitsgedenken, ein Appell an die
Erinnerung von der Menschheit, aber es ist
jedem Einzelnen überlassen, ob und wie
viel er erinnert.“
Andererseits sei „diese Erinnerung je-
dem Menschen selbst überlassen. Der Deut-
sche kann nicht [von sich selbst] ständig
fordern, daß er die Erinnerung mit sich
rum schleppt. Wenn er persönlich das in sei-
nem Bewußtsein hat und so empfindet, soll
er erinnern, dann ist das korrekt; ich den-
ke aber, man soll nicht generell sagen ‚Weil
die Deutschen so sind, so waren, sollen sie
erinnern. ‘“
Ein generelles Erinnern, welches leer ist
und welchem kein empfindsames Bewußt-
sein zugrunde liegt, hält Amir nicht für
aufrichtig. Denn „wenn zum Beispiel mein
mich ständig drangsalierender Nachbar,
der rechte Musik hört, in den Genuß sol-
cher Gedanken wie ‚Die Deutschen sollen
sich ständig erinnern und diese Erinnerun-
gen wachhalten‘ kommt, wenn er das stän-
dig hört und liest, dann wird er genau das
Gegenteil tun.“
Amir, der hier konkret die Erfahrung
mit einer bestimmten Person vor Augen
hat, fährt verallgemeinernd fort:
„Wenn dann zum Beispiel ein iranischer
Hausnachbar ihn bittet, die Musik leiser zu
machen, wird er denken: ‚Die anderen sind
Deutsche, die können das sagen, Du aber
bist kein Deutscher, Du darfst um nichts
bitten.‘ ‚Es gibt gute Ausländer, es gibt
schlechte Ausländer.‘ Natürlich bin selbst
sehr betroffen, wenn Ausländer in der
U-Bahn randalieren.“
Durch das Leben unter dem Einfluß von
zwei so unterschiedlichen Kulturen, ihren
Werten und Tabus, haben sich bei Amir
zwangsläufig das Bedürfnis nach Verständ-
nis und die Suche nach gerechter, fairer Be-
urteilung in seinen Lebensanschauungen
fest verankert. Auch wenn Amir implizit
und explizit immer wieder zwischen
Deutschland und dem Iran (oder auch an-
deren Ländern) vergleicht, will er sein Ge-
genüber stets als Mensch und nicht (nur) in
ziner kulturellen Rolle wahrnehmen. Nach
eigenen Aussagen ist Amir stolz auf erfolg-
reiche Versuche, sich mit dieser Haltung
durchzusetzen. Gegenüber den verschie-
densten Institutionen, wie z. B. Ämtern,
Gerichten oder anderen Bewilligungs-,
Entscheidungs- oder Beschwerdestellen,
zei es, wie er betont, seine Art, sich zu be-
haupten, in dem er sich trotz eigener
‘Sprach-)Unsicherheit darauf konzentriere,
entweder auf die auch ihm zustehenden
Rechte und Möglichkeiten zu beharren,
wenn ihm das Verhalten der Bediensteten
zu subjektiv motiviert bzw. gar diskrimi-
nierend erscheint. Oder eine andere Mög-
lichkeit sieht Amir darin, den Mitarbeiter
des Amtes bei dessen Ehre zu packen.
Durch sein Auftreten möchte Amir als
Mensch - „in allererster Linie bin ich ein
Mensch“ — und nicht als Mitglied einer
Großgruppe wahrgenommen werden.
„Das ist meine Grundeinstellung: wo man
etwas für Unrecht hält [egal ob es dabei um
die Steinigungen im Iran oder die Mitwis-
serschaft während der Nazi-Diktatur geht,
Anm. d. Vf.], da muß man es bekämpfen.
Aber nicht in der Weise, daß man muß den
Verbrecher (...), sondern das Verbrechen
bekämpfen.(...) Man muß die Menschen so
nehmen wie sie sind.“
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