Digitalisate

Hier finden Sie digitalisierte Ausgaben ethnologischer Zeitschriften und Monografien. Informationen zum Digitalisierungsprojekt finden Sie [hier].

Suchen in

Volltext: Bilder vom Eigenen und Fremden

Amir 
„Deutschland ist ein demokratisches Land“ 
Interkulturelle Vergleiche und Vermittlungsversuche 
Von Jens Watolla 
Amir, ein etwas schmächtiger Mann mit le- 
bendigen Augen, sitzt in seinem Ein-Zim- 
mer-Apartment in Berlin-Spandau, er be- 
wohnt es bereits seit 11 Jahren. Der Mann 
hat eine lange Schicht auf dem Bau hinter 
sich. Auch morgen früh muß er um fünf 
Uhr aufstehen. Durch einen weiteren Job 
in der Spülküche eines Hotels liegt seine 
wöchentliche Arbeitszeit zwischen 55 und 
75 Stunden. Dies ist der Alltag eines Vier- 
zigjährigen, der vor drei Jahren sein Di- 
plom als Ingenieur in Biochemie erhielt 
und sich trotzdem seit zwei Jahren als 
Hilfsarbeiter durch das Leben schlägt. 
„Arbeiten brauchte ich fast nie“ — 
Kindheit im Iran 
Der Sohn eines Beamten des staatlichen 
Busunternehmens wächst am Stadtrand 
von Teheran auf. Es ist ihm vergönnt, eine 
unbefangene Kindheit zu verbringen. Amir 
und seinen Geschwistern will der Vater ein 
guter Vater sein. Die Sorge um sie ist ihm 
ein und alles, erläutert Amir im Rückblick: 
„Sämtliche Verantwortung nahm er uns ab, 
(...) wollte, daß wir von den ernsten Ge- 
schäften des Lebens frei bleiben. All die 
Jahre hatte meine Mutter kein einziges Mal 
Geld oder eine Rechnung in der Hand. So 
wollte er das. Es war nicht die Frage, ob er 
uns das zutraute oder nicht, sondern es war 
seine Sucht, uns beschützen zu wollen“. 
Die Mutter zu Hause wird respektiert, 
und: „Ich konnte immer das tun, was ich 
wollte, ich habe manchmal wochenlang nur 
gelesen oder Musik gehört. Arbeiten brauch- 
te ich nie, naja fast nie, außer ein bißchen 
in der Küche helfen.“ 
Dennoch wird ihm schon früh bewußt, 
daß nicht das ganze Leben so aussehen 
würde. “Diese Idylle“ hatte ihren Preis. 
Oft ist der Vater abwesend. Ihn bezeichnet 
Amir als „freidenkend“. „Er allein traf 
sämtliche Entscheidungen.“ So zum Bei- 
spiel auch jene, die persische Sprache zu er- 
lernen. Denn Asarisch ist die Mutterspra- 
che der beiden Eltern und persisch zu spre- 
chen wurde allgemein im Iran Pflicht. 
„Das Leben muß irgendwie härter sein“, 
spürte Amir schon in jener Zeit „wohlbe- 
hüteter Abgeschottetheit.“ Dies, führt er 
aus, ging so weit, daß der Vater „uns Kin- 
der“ nicht mit anderen Kindern zusammen 
sein ließ. „Außer in der Schule hatte ich 
keinen Kontakt mit anderen Kindern.“ 
Seine Welt wurde die der Musik, der 
Bücher, der Familie, die der Erzählungen. 
Neben der persischen und klassischen eu- 
ropäischen Musik sind es Märchen, Ge- 
dichte und „Schriften weiser Leute“, wie er 
sagt, die ihn hauptsächlich interessierten. 
Eine aus heutiger Sicht offensichtlich sehr 
glückliche Kindheit. 
„Solche Unbeschwertheit noch einmal erle- 
ben zu können, würde mich nicht nur zu- 
Frieden machen. Es war schon Glück. Ja, ich 
war - ohne damals diese Dimension zu be- 
greifen - glücklich.“ 
Später nimmt der Einfluß des Vaters 
durch die langen Tagestouren zum Gym- 
nasium stetig ab. Allmählich dringt der ge- 
7
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.