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Volltext: Bilder vom Eigenen und Fremden

Sabine Imeri 
wohnt hatten, und da stehen Schränke von 
deren Urgroßmüttern oder so was, das ken- 
ne ich gar nicht. Diese Wurzeln, die eben 
weit nach hinten reichen, (...) weitreichen- 
de Wurzeln schleppen sie mit sich, also die 
tragen das in sich.“ 
So spricht Alex eben auch über eine ge- 
wisse Wurzellosigkeit und findet hierbei 
für sich das Bild vom „Wanderer“: 
„Ich kann mich schwer einleben an einem 
Ort, (...) so wie ein Wanderer. Das finde ich 
ein bißchen traurig, daß ich das nicht kann, 
mich so schön, meine Wurzeln schlagen und 
mich zu festigen. ” 
Das Bild des Wanderers dient dazu, sich 
gegenüber dem als kollektiver Norm wahr- 
genommenen „seßhaften Leben“ zu posi- 
tionieren. Die Vorstellung zu wandern, im 
Leben stets auf Reisen zu sein, ermöglicht 
die Integration häufiger Ortswechsel und 
damit teilweise instabiler sozialer Bezie- 
hungen in die biographische Erzählung. Sie 
dient als Erklärungsmuster, das aber auch 
Ambivalenzen beinhaltet. So sind ihm ei- 
nerseits Außenseitergefühle geblieben, die 
aus verschiedenen Quellen und Identitäts- 
‚räumen gespeist werden. 
/: „Hast du eigentlich heute manchmal 
noch Außenseitergefühle?“ 
A: „Immer eigentlich. Schon dadurch, daß 
ich schwul bin. Aber auch dadurch, daß ich, 
ihm, kein hundertprozentiger Deutscher 
bin oder Inländer bin. Diese Gefühle hab‘ 
ich auch, wenn ich woanders bin. (...) Ja es 
is’ schwer für mich, mich zu etablieren, beı 
Freunden oder egal wo, eigentlich. Das 
stimmt schon. So is’ jedenfalls mein Ein- 
druck. Ich denke, ich müßte immer mehr 
liefern, als ich eigentlich kann, damit ich 
akzeptiert werde. (...) Das ist eine Sache, 
mit der ich wohl leben muß. Manchmal 
akzeptier” ich es, ich sage mir: ‘Vergiß es!’ 
manchmal will ich es bekämpfen.” 
Andererseits nutzt er die Fähigkeit, in 
verschiedenen Sprachen und kulturellen 
Mustern kommunizieren zu können, je 
nach Aufenthaltsort und Situation. 
I: „Und wenn du heute nach Italien 
kommst oder nach Griechenland?“ 
A: „Ich fühl” mich total wohl, sofort. Ich 
kann mit den Leuten kommunizieren, Ich 
weiß gleich, was die meinen, was für “nen 
Gesichtsausdruck die haben, den Ton kann 
ich gleich richtig interpretieren. (...) Da pas- 
steren mir nicht so “ne Mißverständnisse, 
daß ich jemanden nicht verstehen kann. 
‘...) Ich glaub”, ich könnte mich sehr einfach 
integrieren, wenn ich nach Italien oder 
nach Griechenland ziehen würde. (...) Das 
ist so mehr oder weniger wie so ‘ne Haut, 
aufgesetzt, an der manches abprallt.“ 
Zunächst bedeutet diese kulturelle Fle- 
xibilität für Alex auch einen beruflichen 
Vorteil und eine besondere Qualifikation - 
als Luft- und Raumfahrttechniker arbeitet 
ar in Unternehmen, die transnational ope- 
rieren. Er kann seine Sprachkenntnisse, 
eine erhöhte Beweglichkeit und Entwick- 
l)ungsbereitschaft als Ressourcen, die ihm 
aus seinem Lebenslauf erwachsen sind, 
nutzen.” 
„Nee, ich kann mir nicht vorstellen seßhaft 
zu werden. Wieso? Ich will möglichst viel 
kennenlernen, es hängt ja auch beruflich 
davon ab, wo ich hinkomme. Aber ich bin 
absolut offen. Wenn mir jemand ‘n Job in 
Rom anbietet, dann würde ich sofort da 
hinziehen. Oder nach Indonesien zum Bei- 
spiel, da gibt’s ja auch ‘ne Luftfahrt-Firma. 
“..) Ich möchte mich natürlich entwickeln, 
beruflich und privat, vieles kennenlernen 
und erobern, entdecken. Aber ich möchte ja 
natürlich auch Bewegung. Ich mag es, 
Menschen zu beobachten, kennenzulernen 
und da muß man sich bewegen.” 
Auf einen Arbeitsplatz in Seattle / USA 
verzichtet er beispielsweise jedoch nicht 
zuletzt deshalb, weil sein Lebensgefährte es 
zu diesem Zeitpunkt ablehnt, Europa zu 
verlassen. Hier werden also auch Grenzen 
einer scheinbar schrankenlosen Mobilität 
sichtbar.® 
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