Sabine Imeri
Vaters irgendwo. Und der hatte seine Fa-
milie mitgeschleppt. Eine weitere berufliche
Zwischenstation, irgendwie mußten wir
uns arrangieren.“
In Deutschland, ohne die Nähe zur grie-
chischen Verwandtschaft, wird ihm zum
erstenmal bewußt, daß sein Leben anders
verläuft als das der meisten anderen Kin-
der. Dies ist gekoppelt mit dem deutlichen
Gefühl, Außenseiter zu sein.®®
„Da hab’ ich zum ersten Mal verstanden,
daß das alles fremd ist irgendwie. Ich glau-
be, da hab’ ich verstanden oder zum ersten
Mal kapiert, daß das nicht normal ist was
wir da machen. Ja, daß wir immer wegzie-
hen, keine festen Kontakte haben. Daß ich
keine Freunde habe, mit denen ich schon
seit Geburt an irgendwie befreundet bin. ”?
Nach zwei Jahren in Deutschland führt
der Weg nach Rom. Das kulturelle und
sprachliche „ Wirrwarr”, wie Alex es nennt,
findet hier zunächst seine Fortsetzung. Da
der Vater meist auf Geschäftsreisen und
nur zwei oder drei Tage im Monat anwe-
send ist, gibt es zwar Geschenke, aber we-
nig Erklärungen:
‚Wir haben nie darüber gesprochen, daß
dieses Wirrwarr oder diese chaotischen Ver-
hältnisse, daß die uns irgendwie geprägt
haben könnten. Nee, das war nie ‘n Thema.
Es wurde sowieso nicht sehr viel gesprochen
in der Familie.“
Rom ist dann der Ort, an dem Alex so
etwas wie „seßhaftes Leben“ kennenlernt.
Hier lebt er zehn Jahre lang und „da fing
vielleicht die Zeit an, wo diese ganzen ver-
wandtschaftlichen Beziehungen nicht mehr
im Vordergrund waren“. Es gelingt ihm
erstmals, Freundschaften von längerer
Dauer zu schließen. Nach einiger Zeit fühlt
er sich hier, so wie seine ganze Clique an
der deutschen Schule, sehr italienisch: „Ich
hatte ‘ne richtig italienische Mentalität
auch angenommen.” Sein Bild von Italien
ist stark geprägt von den Erinnerungen an
diese Zeit. Bis heute verbindet er mit Itali-
en: mit vielen Freunden auf der Straße sein,
mit der Gitarre am Brunnen sitzen und
Musik machen, am Wochenende in der
Umgebung herumfahren, locker sein, das
Leben genießen:
„(...) und ‘ne lockere Ansicht über Dinge zu
haben, Dinge nicht so ernst zu nehmen,
nicht so genau zu sein. Diese Pünktlichkeit
kannten wir gar nicht. (...) Es war also auch
‘ne sehr oberflächliche Art miteinander
umzugehen, aber ‘ne sehr nette und
freundliche, liebevolle — ‘ne schöne Ansicht,
daß Leben zu genießen.“
Auf das, was Alex in Rom über
Deutschland, deutsche Kultur und Ge-
schichte erfährt, reagiert er, wie offenbar
die ganze Gruppe, mit stereotyper Ab-
wehr. Das Bild von „den langweiligen und
nazistischen Deutschen“ kontrastiert hier
mit einem unter den Jugendlichen gepfleg-
ten Bild vom italienischen „dolce vita“, das
Alex auch für sich reklamiert:
„Das war cool, so zu sein, italienisch zu
sein, in der Schule jedenfalls. Und die mei-
sten Freunde waren aus der Schule. Und es
war richtig, wie soll ich sagen, also in Ita-
Kenisch gibt’s eben ein Wort: ‘squallido‘
heißt das. Das heißt langweilig so, aber ne-
zativer. Langweilig und üh, wer will mit
dem schon sprechen. Es war also richtig
langweilig und ‘squallido’ eben, wenn ein
zeuer Schüler, ein deutscher, in die Klasse
kam. Das war, wir wollten das gar nicht
annehmen. Der hatte, der mußte, so hart,
wie die Kinder nun mal sind (lacht), der
mußte natürlich so schnell wie möglich Ita-
enisch lernen, damit der sich in unsere
Gruppe oder so, in unsere Klasse integrieren
kann. Selbst der Deutschunterricht, da
kann ich mich erinnern, da wurden Bücher
besprochen, die gleichen Bücher, die natür-
‚ich auch hier in der deutschen Schule in
Deutschland gelernt werden, so ‘Effi Briest’
und so was, selbst die Besprechungen wur-
den von den Schülern auf Italienisch ange-
fangen (lacht). Bis der Lehrer gesagt hat:
Nein, so jetzt hört mal auf. Hier wird
Deutsch gesprochen.’ Wir wollten das nicht.
Das war so ‘squallido’ eben. Das war so
ihh, wie kann man nur. Ihh. (lacht). Und