Dr. Weining
„Die Trümmer weggeräumt und angepackt“
Portrait einer deutschen Begegnung
Von Alexandra Claus
Zwischen den Orten: „Und was
machen Sie so?“
Die Landschaft rauscht vorbei, zu schnell,
finde ich. Ich erinnere mich an Zugfahrten,
in denen ich langsam in die Landschaft und
meine Gedanken versunken bin. Ich hole
mir einen Kaffee und überlege mir wie je-
ldesmal, warum der um Gottes Willen fünf
DM kosten muß. Mobiltelefone, Fernse-
hen, Laptops in den Großraumabteilen:
Gibt es weniger Gespräche zwischen den
Fremden, die hier für ein paar Stunden auf
engem Raum zusammen sind? Sentimenta-
ie Gedanken zwischen den Orten. Ich
'reue mich auf ein paar Stunden ungestör-
;es Lesen. Intercity, Bistro, Sommer 1999,
xurz nach Göttingen.
Neben mich setzt sich ein älterer Herr
und ich überlege kurz, ob ich ihn ignorie-
re. In dem Moment, in dem ich freundlich
hoch schaue, ist mir jedoch bewußt, daß
las mit dem Lesen nichts mehr wird:
„Nein, hier ist noch frei!“ Mit dem Stich-
wort Berlin ist dann auch schnell ein un-
verfänglicher Anknüpfungspunkt gefun-
den, was mich an frühere Trampfahrten er-
innert. West-Berlin hatte noch Inselstatus
und allein durch das gemeinsame Ziel und
das Erlebnis der Fahrt war meist auch
schon ein undefinierbares Gefühl der Ge-
meinsamkeit vorhanden.
Herr Weining reist von Berlin nach
Mainz; ich erfahre, daß er sich gerade zur
Ruhe gesetzt hat und nun mit seiner Frau
zurück in seine alte Heimat, Berlin-Wil-
mersdorf, zieht. 28 Jahre lebte er in Mainz
ıls Jurist und „Banker“, wie er sich selbst
»ezeichnet. Anekdotenreich unterhält er
nich die nächsten Stunden. Ich schreibe
;eine Kontakfreudigkeit auch einer gewis-
sen Euphorie in Anbetracht seines neuen
Lebensabschnittes zu. Nicht ganz uneigen-
nützig leihe ich ihm mein Ohr; war es zu
Anfang noch Höflichkeit, interessieren
mich seine Geschichten zunehmend, Frem-
de Lebenswelten begegnen sich. Herr
Weining ist CDUler, Rotary-Club-Mit-
glied” sowie Burschenschaftler, Spätestens
da klingelt es in meinem Ethnologinnen-
Hinterkopf: Ich brauche doch noch Inter-
viewpartner zum Thema „Nationale Iden-
ntät“.
Nationale Identität” — meine eigenen
zwiespältigen Gefühle zu dem Thema be-
zeiteten mir bereits einiges Kopfzerbre-
z>hen. So fand ich mich — wie auch andere —
beim Sprechen über Deutschland immer
wieder gefangen zwischen der Beteuerung,
aicht national zu sein und dem Bekenntnis,
:'rgendwie doch geprägt zu sein. Die Aus-
sagen tendierten zu Abgrenzungen, Relati-
vierungen, Rechtfertigungen auf der einen
Seite oder zu vorsichtigen Zugeständnissen
und Eingeständnissen von eigenen Fremd-
and Feindbildern sowie von Zugehörig-
zeitsgefühlen auf der anderen Seite. Sie be-
wegen sich in einem Feld, das immer schon
Erklärung und Positionierung zu bedürfen
scheint, auf dem man sich schnell auf Glatt-