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Volltext: Bilder vom Eigenen und Fremden

Christiane Reichart-Burikukiye 
Rückblick auf die DDR jedoch entwarf 
Tabea ein völlig anderes Bild, als ich es ge- 
tan hätte. So gibt es Erfahrungen, die wir 
teilen, und Erfahrungen, die ich kaum 
nachvollziehen konnte. Auch empfand ich 
eine gewisse Scheu, sehr persönliche Fra- 
gen direkt aufzugreifen, wie beispielswei- 
se die nach ihrer Schuld oder Verantwor- 
tung für die DDR-Diktatur. Auch Tabea 
selbst sprach das Thema nicht an. Dafür 
besteht in unserer Beziehung zu wenig und 
zu viel Distanz gleichzeitig. Trotzdem wa: 
ze ich zu behaupten, dass Tabea sich sehr 
wohl einer Form von Verantwortung be- 
wusst ist. Das zeigt sich vielleicht am deut- 
lichsten, als sie über das Verhältnis zu ih- 
rem Arbeitgeber spricht, und darüber, in- 
wieweit die Zeit der DDR und die Wende 
innerhalb ihrer Familie und vor allem ge- 
zenüber den beiden Töchtern - heute 10 
und 14 Jahre alt - thematisiert wird. 
Meine eigenen Erinnerungen und Vor- 
stellungen bleiben, und ohne Zweifel wer- 
den sie in den Text einfließen. Ich möchte 
daher versuchen, so oft als möglich Tabea 
selbst zu Wort kommen zu lassen und so in 
der Verflechtung unserer beider Persön- 
lichkeiten und Erinnerungen, die dieser 
Text darstellt, vor allem ihr Raum zu ge- 
ben. 
Von Wismar nach Berlin 
„Ich bin am 7. November 1962 in Wismar 
geboren, an der Ostseeküste, ich habe vie- 
le Halbgeschwister, die aus verschiedenen 
Ehen meiner Mutter und meines Vaters 
herkommen (...) die alle bedeutend älter 
sind als ich. Mein Vater ist Lehrer gewesen. 
Meine Mutter war auch Lehrerin, hat dann 
aber später als Erzieherin im Internat einer 
Erweiterten Oberschule gearbeitet, vor al- 
len Dingen, damit sie mich betreuen konn- 
te. Meine Mutter ist dann leider zeitig ge- 
storben, als ich neun war, und mein Vater 
hat dann wieder geheiratet. Meine Stief- 
matter ist Apothekerin gewesen.“ 
Zur Landschaft ihrer Kindheit und Jugend, 
zu Felsen und zum Meer fühlt sich Tabea 
bis heute hingezogen. Die norddeutsche 
Landschaft und Architektur geben ihr auch 
später, als sie schon in Berlin wohnt, ein 
Gefühl von Vertrautheit. 
„(...) das Nördliche, also Hamburg, das 
ist mir auch noch näher, das merk’ ich auch 
immer wieder, das ist auch ein Gefühl von, 
ja, da bist du auch zu Hause, mehr oder 
weniger. Die roten Backsteinbauten, die du 
in Lübeck und Hamburg hast und auch an 
der östlichen Ostseeküste.“ 
Durch die Nähe zur Ostsee empfindet 
Tabea schon recht früh etwas von der En- 
ge, mit der man in der DDR leben muß. Sie 
liest Reisebeschreibungen, die Ostsee als 
Grenze und Brücke zu fremden Ländern 
beflügelt ihre Phantasien. Wie viele Ju- 
gendliche in der DDR empfindet auch Ta- 
bea Fernweh, die Sehnsucht, Anderes zu 
sehen und kennenzulernen. Nach diesem 
Gesichtspunkt unterscheidet sie auch zwi- 
schen sich selbst und Leuten aus anderen 
Ostseeländern. 
„Also zu dem Zeitpunkt hab’ ich eigent- 
lich nur gesehen, daß die anderen, die Leu- 
te, die aus anderen Ländern kamen, es bes- 
ser hatten als wir, weil die überall hinreisen 
konnten und wir eben nicht. (lacht) Also, 
daß die Auswahl doch eben ziemlich be- 
grenzt war derer, die dort hinfahren konn- 
ten. Das hab ich also doch relativ frühzei- 
tig erfahren.“ 
Der Vater war nach dem Krieg Neuleh- 
rer* geworden, und ist wie der Großvater 
Kommunist. Er ist Mitglied der SED, sein 
Verhältnis zur DDR scheint als Lehrer für 
Staatsbürgerkunde und Geschichte gut. 
Doch familiäre Beziehungen zu Verwand- 
ten in Westen, die sich schwierig gestalten, 
lehren Tabea manche Widersprüche, mit 
denen es in der DDR zu leben gilt. So darf 
der Vater die eigenen Geschwister, die 
nach dem Mauerbau in den Westen gegan- 
gen waren, nicht sehen. Die Familie leidet 
unter dem, was Tabea „diese geistige Unbe- 
weglichkeit in der DDR“ nennt, „die hat 
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