Beate Rätz
ihnen sei es doch schon sehr verbreitet, nur
eine Frau zu haben, das fand er dann toll
f...).“
Frau Jacob erzählt gerne ausgeschmück-
te Geschichten, weswegen ich sie auch als
Interviewpartnerin ausgewählt hatte. Mein
Transkript bestand somit aus einer Fülle
detaillierter Erzählungen, in denen zwar
ziel Biographisches steckte, allerdings vor-
dergründig weniger die Thematik der „na-
:jonalen Selbst- und Fremdbilder“ Betref-
’endes. Auch das Auswahlkriterium, das
geschichtsträchtige Leben Frau Jacobs, die,
1939 in Potsdam geboren, in der Nach-
kriegszeit aufgewachsen war und die ge-
samte DDR-Zeit erlebt hatte, schien mir
vorerst doch nicht nur vorteilhaft. Ich hatte
mich auf viel Historisches gefreut und
mußte aber feststellen, daß ich aufgrund
des Respekts vor soviel Geschichte und Le-
bensgeschichte einen nicht immer souverä-
nen Umgang damit fand, daß ich beispiels-
weise bei mir Mikverständlichem oder Un-
bekanntem nicht immer sofort nachgehakt
habe.
Andererseits stolperte ich über Ge-
schichten, die wie Standarderzählungen
wirkten: Erzählungen, die sie auf bestimm-
ıe Fragen oder in Zusammenhang mit be-
stimmten Themen offensichtlich immer
parat hat und die wie mittlerweile routini-
sierte und feststehende Antworten wirken:
[;: „Und im Ausland, in Schweden, wo Sie
öfter waren, gab es da irgendwelche unan-
genehmen oder auch positiven Erfahrun-
gen?“ (Als 9-jähriges Kind ging Frau Jacob
für vier Monate zu Verwandten nach
Schweden, auch später war sie noch einige
Male dort, d. Vfn.)
B; „Nee, da war ich ja nun also, kam ich ja
als verhungertes Kind hin, wo alle gesagt
haben, das ist die Kleine aus Ostdeutsch-
land, aber da war’s ja so: als Kriegskind hab
ich ja zum ersten Mal auch empfunden, wie
25 ist, in einem Land zu sein, wo kein Krieg
war, das, ich glaub das hab ich ihnen schon
nal erzählt, nicht?“
[:; „Ta“
B: „Daß ich dann nach Hause kam und ge-
sagt habe, ich hab nicht Bananen kennen-
gelernt und Schokolade, sondern ich war in
einem Land, wo es keine kaputten Häuser
gab (...).“ 77
Da die Kriegsthematik während des In-
terviews tatsächlich immer wieder auf-
tauchte, scheint sie ein fester und wichtiger
Bestandteil ihrer lebensgeschichtlichen Er-
zählungen zu sein. Dies veranlaßte mich
dazu, eben diese Standarderzählungen zum
Thema zu machen und zu versuchen, den
Begriff „Kriegskind“ und den Begriff
„DDR-Kind“ als Metaphern? zu betrach-
ten, die sie selbst benutzt und durch die
wichtige Erfahrungssegmente ihres Lebens
gekennzeichnet, interpretiert und koordi-
niert werden,
Sie war ein „Kriegskind“ ?
Als Frau Jacob ein Jahr alt war, 1940,
trennten sich ihre Eltern „aus politischen
Gründen“:
„Und zwar nicht wegen einer anderen
Frau, sondern weil die Schwester meiner
Mutter einen Juden geheiratet hatte, mein
Vater Architekt war, der seinen Doktor bei
einem Staatssekretär gemacht hat, der ein
großer Nazi war und mein Vater also
plötzlich wollte, daß diese Bindung mit der
Familie gebrochen würde. Da konnte mei-
ne Mutter nicht mit leben.“
Mit neun Jahren, im Jahr 1948, ging sie
für vier Monate nach Schweden zu Ver-
wandten, was einen nachhaltigen Eindruck
hinterlassen hat. Sie wollte „eigentlich gar
nicht zurück“, worüber ihre „Mutter
furchtbar betrübt war“, sie wollte „dort
bleiben, wo es keine Russen und keine ka-
putten Häuser gab, (...) und wo man keine
Angst haben brauchte, in den Wald zu ge-
hen.“
Die gesamte Kindheit Frau Jacobs ist
durch den Krieg geprägt, sie ist dement-
sprechend Kind im Krieg und Kind des
Krieges und in der Aussage: „als Kriegs-
kind habe ich (in Schweden) zum ersten