Frau Jacob
„Kriegskind“ — „DDR-Kind“ — Identifikations(t)räume
Yon Beate Rätz
„A life is an unfinished project or set of projects. A
person attempts to organize those projects around
bis or her identity or personal biography“*
Frau Jacobs Lebensgeschichte ist reich an
zeitgeschichtlichen „Projekten“: Von Pots-
dam aus, wo sie ihr gesamtes Leben ver-
brachte, erlebte sie die Nachkriegszeit, die
DDR-Zeit, die Wendezeit - nationalge-
schichtliche „Projekte“, die nicht von ihr
initiiert waren, mit denen sie aber leben
und umgehen mußte und muß. Dazu kom-
men alternative Lebensentwürfe, die sie
zum Teil nicht leben konnte, die sie aber
;ıräumte und die sie noch heute träumt. Für
den Versuch, die mit der Lebensgeschich-
te zusammenhängenden nationalen Selbst-
ınd Fremdbilder zu beleuchten, sollen hier
‚eweils von mir ausgewählte und interpre-
:ierte Versionen dieser „Projekte“ vorge-
stellt werden.
Viel Geschichte - viele Geschichten
„Wenn ein (alter) Mensch stirbt, verbrennt
ine Bibliothek.“2
„Wobei ich ja auch ‘nen afrikanischen Stu-
dienkollegen hatte, aus Kenia, das war für
mich auch immer so interessant, wenn wir
dort waren zu Besuch, erst mal das Tempe-
rament, wenn Musik ging, also da, das kön-
nen wir gar nicht, da wackelt alles, ja also
das ist sagenhaft, ne. Und da haben sie uns
zum einheimischen Essen eingeladen, und
das war dann Kuksu?, das war Grießbrei
in einer großen Schüssel und da gab’s also
dieses Kuksu, das war sowas, ja wie bei uns
vielleicht Szegedinergulasch.(...) Na, jeden-
falls waren nur mein Mann und ich Weiße,
alles andere waren Schwarze, und dann
kam ‘ne große Schüssel Grießbrei und alles
faßte mit in diesen Grießbrei rein, die
schwarzen Hände und da wurde eine Ku-
gel gedreht und wurde eine Delle gemacht,
2s gab kein Besteck und dann kam man in
dieses Kuksu. Also das war auch nicht so
ganz (...) Also das war auch so was von rüh-
rend, wenn der Freunde hatte, der hätte
sein letztes Hemd verschenkt. Dann schrieb
ich ja seinen Lebenslauf zum Staatsexamen
und da war ihm eben superwichtig, daß er
der erstgeborene Sohn der Lieblingsfrau
seines Vaters war. Ich sag‘, ‚Julius, das spielt
kein Klavier, das will schon keiner wissen‘.
‚Also doch, ich hab’ die meisten Erbrechte!‘
Ja, da wollte er, daß ich das in den Lebens-
lauf schrieb. Na ja und dann hab ich ihn
oft geärgert, weil ja dort eben doch mehrere
Frauen aktuell waren in der Ehe, in dieser
Ehe: ‚Mit Eurer Vielweiberei‘, und da hat
er eines Tages, da ist ihm die Hutschnur ge-
platzt, sagt er: ‚Sei Du ruhig, bei Euch sa-
zen die Männer, sie sind zur Parteiver-
sammlung, sind aber mit der Sekretärin un-
terwegs, ist nichts anderes, nur Eure Frau-
zn tolerieren’s nicht, die heulen sich die Au-
gen aus und unsere finden das normal,
wenn es zwei oder drei Frauen sind, wenn
man genug Geld hat.‘ Wenn man das mit
kühlen Augen sehen kann, na ja, dacht ich,
so unrecht hat er auch nicht, was ja dann
zuch interessant ist, während er einen
Freund hatte, der Bantu-Neger war, der
hat immer ganz stolz erzählt, ja also bei