„Das sind Klischees einfach, was ich hier erzähle“
Zur Funktion von Stereotypen in biographischen
Interviews
Von Ewa Drewnowska
Bei den Interviews zu nationalen Selbst-
und Fremdenbildern schöpften die Inter-
viewten, wie es schien, aus den eigenen Er-
fahrungen, aber wir hörten auch relativ oft
allgemein bekannte Stereotypen, die zum
zrößten Teil von den Interviewten unre-
‘Jektiert, gelegentlich sogar wie eine oder
anstelle einer eigenen Erfahrung verwendet
wurden. Daher habe ich mir die folgende
Frage gestellt: Welche Funktionen haben
Stereotypen? Wozu sind sie hilfreich?
Warum wehren sich andererseits manche
von unseren Befragten mit allen Kräften
zegen generalisierende Aussagen, die einer
Nation stereotypisierte Zuschreibungen ei-
ner kollektiven Identität zuordnen?
Im ersten Teil der Arbeit stelle ich an-
hand der Forschungsliteratur den Begriff
‚Stereotyp“ vor, im zweiten versuche ich,
Antworten auf diese Fragen anhand von
Beispielen aus unseren Interviews zu dis-
kutieren.
„Ein wissenschaftlicher Begriff für
aine unwissenschaftliche
Einstellung“
Die Geschichte des wissenschaftlichen In-
teresses an Stereotypen beginnt mit der Pu-
blikation des Buches „Public Opinion“ des
amerikanischen Publizisten Walter Lipp-
man im Jahr 1922. Der Verfasser führte den
Begriff „Stereotyp“ in die Sozialwissen-
schaften ein und weckte das Interesse an
diesem Problem.'”
Nach Angaben des „Lexikons zur So-
ziologie“ ist ein Stereotyp „eine festgefüg-
te, für lange Zeit gleichbleibende, durch
neue Erfahrungen kaum veränderbare,
meist positiv oder negativ bewertende und
»motional gefärbte Vorstellung über Perso-
nen und Gruppen'®, Ereignisse oder Ge-
genstände in der Umwelt und insofern das
Extrembeispiel von sozialer Einstellung.“ !*?
Hermann Bausinger definiert Stereoty-
pen als „unkritische Verallgemeinerungen,
die gegen Überprüfung abgeschottet, gegen
Veränderungen relativ resistent sind. Ste-
reotyp ist der wissenschaftliche Begriff für
eine unwissenschaftliche Einstellung.“!
Bei der Bildung der Stereotypen werden
nur wenige, selektiv wahrgenommene Merk-
male des betreffenden Sachverhalts berück-
sichtigt: Im Wechselspiel von verwendeten
Merkmalen und den durch diese Merkma-
le angesprochenen Denkschablonen ent-
steht ein Stereotyp, das sich später auch
dann nicht mehr verändert, wenn derselbe
Sachverhalt in anderen Zusammenhängen
erneut auftritt.!**
Sozialwissenschaftler beschreiben posi-
tive oder negative Stereotypen als Orientie-
rung schaffende Instrumente, die das Indi-
viduum oder die Gesellschaft benötigt, um
die rasant wachsende Menge an Informa-
tionen zu ordnen und zu verarbeiten. Mit
Hilfe von Stereotypen, die selektiv, ord-
1ungs- und bedeutungsstiftend wirken,
konstruiert man eine Wirklichkeit, die zur
Grundlage von Wertungen, Entscheidun-
zen, Problemlösungen und Handlungen
werden kann.
Positive Stereotypen werden z.B. in der
Tourismuswerbung angewendet, während
im Alltag auch die negativen Stereotypen
Verwendung finden. Als Steigerung stereo-
typer Vorstellungen entstehen Vorurteile.
Diese werden, im Vergleich zu noch „harm-
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