Martina Kneis
Berg zu bewahren, weil jemandem die Knie
vor Anstrengung zittern, so ist es wieder-
um Tim, der bereits oben steht und ruhige
Anweisungen gibt:
„Langsam, langsam - beim Klettern machst
Du es wie im richtigen Leben, immer einen
kleinen Schritt weiter, dann kommst Du
auch voran, vielleicht ein bißchen langsa-
mer, aber sicher.“
Über diese Freizeitaktivität in der ihm
vertrauten Landschaft und der damit ver-
bundenen Rolle als Organisator und Grup-
penmitglied scheint er sein Selbstverständ-
nis zu einem großen Teil herzustellen. Die
Region ist für ihn gleichzeitig sozialer Be-
ziehungs-, Freizeit- und Erlebnisraum und
von zentraler identifikatorischer Bedeu-
tung, wie auch das Interview zeigte.
‚Wenn ich an das Land Sachsen denke,
naja, also Sächsische Schweiz ist ja Heimat
für mich. Mit Sächsischer Schweiz verbin-
det sich für mich wirklich der Begriff Hei-
mat, und wenn ich sonst Sachsen sage, dann
denke ich erstmal an Chemnitz und Chem-
nitz ist keine Heimat für mich. Dort sind
Freunde, insofern ist es eine Heimatstadt
für mich, aber - aber keine Gegend, womit
ich mich identifizieren möchte.“
Vieles deutet auf seine Herkunft und re-
gionale Identität hin: Er spricht mit säch-
sischem Akzent, die meisten seiner Freun-
de stammen aus Chemnitz und Umgebung,
an den Wochenenden fährt er so oft als
möglich dorthin, und in absehbarer Zeit
möchte er von Berlin weg und wieder nach
Sachsen ziehen.
„An Sachsen gibt es mehr Herzlichkeit viel-
leicht, aber auch wieder mehr hinter dem
Rücken reden und nicht offen und klar sa-
gen, was man denkt, und hier in Berlin
eben immer offen und klar raus, was gera-
de ansteht, aber eben auch immer ein biß-
chen offiziell irgendwie, nicht so — eben
nicht so eine Wärme, wie ich die so in Sach-
jen spüre.“
Auch wenn Tim hier seine Sympathie-
bekundungen etwas relativiert, assoziiert er
mit der Region Sachsen und deren Bewoh-
nern grundsätzlich eher positive Bilder.
Dabei bedient er gängige Stereotypen: z.B.
die warmherzigen Sachsen im Gegensatz
zu den kaltschnäuzigen Berlinern.
Heinz Schilling beschreibt die lokale
!dentität als: „nach innen harmonisch bin-
dend, nach außen trennend.“!“Diese „har-
monische Bindung“ nach innen gilt auch
für die regionale Identität und scheint für
meinen Interviewpartner ein wichtiges Ori-
entierungsmoment zu sein. Um mit jeman-
dem kommunizieren zu können, bedarf es
nach Tim einer Gemeinsamkeit. Sie ist für
ı:hn vor allem durch die Tatsache geschaf-
‘en, dass man aus derselben Region stammt:
„Ich empfinde es so menschlich ein Stück-
chen näher dran. Diese Mauer, dieses Ab-
schotten, hier bin ich, dort bist Du. Das fällt
mir leichter zu überbrücken. Das fällt mir
leichter zu überbrücken, wenn ich mit
Sachsen zu tun habe, als wenn ich mit an-
deren Leuten zu tun habe.“
Seine Haltung gegenüber „Nicht-Sach-
sen“ ist folglich eher skeptisch. Je fremder
ihm jemand erscheint, desto schwieriger
scheint es für ihn, eine gemeinsame Kom-
munikationsbasis zu finden und Verständ-
nis für den Anderen aufzubringen.
‚Aber, wenn ich jetzt halt, also auf Arbeit,
da hab’ ich einen Arbeitkollegen, einen äl-
teren, der kommt auch aus Chemnitz, so.
Da merk’ ich, bestimmte Dinge sind zwi-
schen uns ganz schnell klar, da brauch’ ich
gar keine Kommunikation, eine bestimmte
Menschlichkeit miteinander umzugehen,
die mit den Kollegen aus Berlin oder eben
auch irgendwo aus dem Westen, die da völ-
lig unverständlich ankommen und auch
überhaupt keine Rolle spielen. “!*
Ein durchgängiges Motiv seiner Identi-
tät ist Tims Bedürfnis nach Gemeinschaft
innerhalb einer homogenen Gruppe, Tim
stellt dieses Gruppengefühl durch eine ge-
meinsame Vergangenheit her bzw. durch
die Herkunft aus derselben Region. Auf
meine Frage, ob er diese Gemeinsamkeit
auch zu anderen Ostdeutschen empfinde,
bestätigt er dies:
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