Psychiatrisches Versorgungssystem (in Berlin)
Seit der Veröffentlichung von Erving Goffmans Buch Asyle im Jahr 1961, in dem
ar den Alltag in einer psychiatrischen Anstalt in den USA beschreibt, hat sich in
der Behandlung und Versorgung psychisch kranker Menschen vieles grundle-
zend verändert (Goffman 1961).
Ähnlich wie in anderen, vor allem westlichen Gesellschaften, begannen in
Westdeutschland in den 1970er Jahren weit reichende Reformen, die vor allem
von der Einsicht geprägt waren, dass der oftmals als selbstverständlich angenom-
mene chronische Verlauf psychischer Erkrankungen durch die Langzeithospi-
talisierung der Betroffenen verursacht wurde, Grundlegende Veränderungen in
den institutionellen wie therapeutischen Bedingungen sollten - so die dama-
‚ige Erwartung - die Prognosen von psychischen Erkrankungen positiv beein-
{lussen und die Reintegration der Betroffenen in die Gesellschaft ermöglichen.
Der entscheidende Impuls für die bundesrepublikanischen Reformen ging von
einem Bericht der Psychiatrie-Enquete-Kommission im Jahr 1975 aus, die - be-
rufen vom Deutschen Bundestag - erstmals einen ausführlichen Bericht über
den Zustand psychiatrischer Behandlung und Versorgung zusammenstellte (Psy-
chiatrie-Enquete 1975). Bemängelt wurden neben den desolaten baulichen und
hygienischen Zuständen in psychiatrischen Anstalten vor allem, dass ein hoher
Anteil an LangzeitpatientInnen teilweise mehr als 10 Jahre dort lebte. Auch ein
»therapeutischer Nihilismus« wurde kritisiert - meist entsprach die Versorgung
der PatientInnen in den großen Anstalten eher einer Art »Aufbewahrung« denn
einer intensiven Behandlung, geschweige denn Rehabilitation. Für längst über-
fällig befand man daher eine schrittweise Ent-Hospitalisierung gerade der Lang-
zeitpatientInnen und deren Einbindung in ambulante Hilfen.
Zwei Grundprinzipien der Reformen waren dabei entscheidend und prägen
die Hilfen für psychisch Kranke bis heute: »gemeindenah« und »ambulant vor
stationär«. Ziel war es die großen psychiatrischen Einrichtungen, die teilweise
seit dem 19. Jahrhundert bestanden, aufzulösen und an Allgemeinkrankenhäu-
sern psychiatrische Abteilungen einzurichten, um eine möglichst wohnortnahe
Versorgung der Menschen zu gewährleisten (vgl. Empfehlungen der Experten-
kommission 1988). So gab es beispielsweise in den Westberliner Bezirken bis in
die 1980er Jahre insgesamt drei zentrale psychiatrische Anstalten mit teilweise
bis zu 1000 Betten. In Folge der bundesweiten Psychiatriereformen wurde auch
in Berlin die psychiatrische Versorgung Schritt für Schritt dezentralisiert und
»regionalisiert«, das heißt in den verschiedenen Bezirkskrankenhäusern wur-
den psychiatrische Kliniken eingerichtet, welche die Pflichtversorgung für ei-
aen Bezirk übernahmen.“ Neben dieser Verlegung psychiatrischer Behandlung
in die Bezirkskrankenhäuser meint »gemeindenah« vor allem auch die enge Ver-
netzung der klinischen Behandlung mit den verschiedenen Angeboten der so
genannten komplementären Versorgung. Gemäß dem Prinzip »ambulant vor