K. Reuschel.
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schaftlich nicht in Betracht zu ziehen geringschätzig abzutun. Aber eins
muss beachtet werden: es handelt sich vorwiegend um den niederdeutschen
Bauern, und nicht jede Verallgemeinerung würde das Richtige treffen,
Die urwüchsige gesunde Kraft, die im Bauerntum steckt, wird ansprechend
geschildert. Der konservative Sinn äussert sich in Beharrung (passiv)
und in Nachhaltigkeit (aktiv) (S. 16). Die Tradition herrscht überall,
ebenso eine unlösliche Gebundenheit, . „Die bekannte Solidarität jeder
Bauerngemeinschaft“ ist „negativ ausgedrückt, die starke Abneigung, in
irgend welcher Beziehung sich von der Gesamtmeinung jener Gemeinschaft
zu entfernen“ (S. 47). „Bei allem Bauerntum bildet sich ein gesunder
realistischer Mitteltypus heraus, und den repräsentiert jeder“ (S. 49).
Innerhalb des Gaues und Stammes ist Gleichheit vorhanden (S. 51). Ein
weiteres Kennzeichen des Bauerntums ist Gediegenheit, ein anderes Naivität
(nach dem Verfasser [S. 73] das unbefangene Offenbaren eines Seelen-
inhaltes nach seiner guten wie seiner schlechten Seite hin), wieder eins
spielende Energie. Die Übersinnlichkeit des Bauern wird an der Sage,
dem Aberglauben, der Volksmedizin und besonders an der Religion dar-
getan. Nur Dreiviertelkraft verwendet der Bauer (104ff.); „jedes vierte
Viertel gehört der Ruhe“, Masshalten ist eine der hervorstechendsten
Tugenden (113ff.). Wie erklärt sie sich? Aus dem Gefühl der Freiheit.
Diese Eigenschaften werden geschichtlich erläutert (143 ff.). „Vorderhand
sind in ihm (dem Bauer) die Instinkte einer jahrhundertlangen gleichförmigen
und eigenartigen Vergangenheit noch mächtig. Sein heutiges Geschlecht
steht augenblicklich uns gegenüber noch in grossen Zügen als eine Welt
von einst, seine Eigenart und Besonderheit geworden in den langen Jahr-
hunderten seiner Geschichte.“ Dem Seelsorger lag es nahe, breiter auf
das Verhältnis des Bauern zur Religion einzugehen (169ff.). Nimmt man
Glaube gleich Gottvertrauen, Hingebung an Gott, so gibt es keine religiösere
Schicht als das Bauerntum (S. 177). Es ist durchaus die Dogmatik des
Mittelalters, die der bäuerlichen Bevölkerung zusagt. Ausführlich wird
(übrigens auch schon vorher, denn ein streng systematisches Werk stellt
das Buch nicht dar) von der Moral gehandelt (198 ff.). Die Gleichgültig-
keit, das Misstrauen, das zu Verschlossenheit und Trotz wird, die Streit-
barkeit, dabei aber doch die Gutmütigkeit, die Schätzung der Frau als
einer unentbehrlichen Mitarbeiterin, das Gewissen. sind durch gute Bei-
spiele erläutert, und am Ende dieses Abschnittes ordnet der Verfasser die
Bauernmoral in das Herbartsche ethische System ein, wobei er zeigt, dass
alle die Hauptideen mit Ausnahme des Wohlwollens sich beim Bauern
finden. An der Darstellung der Schlierseer legt er noch dar, wie die Bauern-
merkmäle sich selbst auf dieser Bühne erhalten haben. Übrigens wird
dabei an dem Dramatiker Anzengruber eine nur zu berechtigte Kritik ge-
übt. Anzengruber war ein Städter, der für sein städtisches Publikum
arbeitete. Im einzelnen. werden in einem weiteren Abschnitt Vergleiche
angestellt zwischen Bauerntum und Mittelalter, Bauerntum und Kinder-
welt, Bauerntum und Altem Testament, Bauerntum und älterer Kunst-
übung, immer geistvoll und selten zum Widerspruch reizend, Mit be-
herzigenswerten Worten schliesst der Verfasser (306): „Es dürfte nicht
mehr und nicht weniger sein, als eine Art Selbstmord, den ein Volk an
sich begeht, wenn es mit dem, was es an. Hochkultur in seinen Kultur-
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