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Volltext: Allgemeine und französische Volkskunde 1897-1909

K. Reuschel. 
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schaftlich nicht in Betracht zu ziehen geringschätzig abzutun. Aber eins 
muss beachtet werden: es handelt sich vorwiegend um den niederdeutschen 
Bauern, und nicht jede Verallgemeinerung würde das Richtige treffen, 
Die urwüchsige gesunde Kraft, die im Bauerntum steckt, wird ansprechend 
geschildert. Der konservative Sinn äussert sich in Beharrung (passiv) 
und in Nachhaltigkeit (aktiv) (S. 16). Die Tradition herrscht überall, 
ebenso eine unlösliche Gebundenheit, . „Die bekannte Solidarität jeder 
Bauerngemeinschaft“ ist „negativ ausgedrückt, die starke Abneigung, in 
irgend welcher Beziehung sich von der Gesamtmeinung jener Gemeinschaft 
zu entfernen“ (S. 47). „Bei allem Bauerntum bildet sich ein gesunder 
realistischer Mitteltypus heraus, und den repräsentiert jeder“ (S. 49). 
Innerhalb des Gaues und Stammes ist Gleichheit vorhanden (S. 51). Ein 
weiteres Kennzeichen des Bauerntums ist Gediegenheit, ein anderes Naivität 
(nach dem Verfasser [S. 73] das unbefangene Offenbaren eines Seelen- 
inhaltes nach seiner guten wie seiner schlechten Seite hin), wieder eins 
spielende Energie. Die Übersinnlichkeit des Bauern wird an der Sage, 
dem Aberglauben, der Volksmedizin und besonders an der Religion dar- 
getan. Nur Dreiviertelkraft verwendet der Bauer (104ff.); „jedes vierte 
Viertel gehört der Ruhe“, Masshalten ist eine der hervorstechendsten 
Tugenden (113ff.). Wie erklärt sie sich? Aus dem Gefühl der Freiheit. 
Diese Eigenschaften werden geschichtlich erläutert (143 ff.). „Vorderhand 
sind in ihm (dem Bauer) die Instinkte einer jahrhundertlangen gleichförmigen 
und eigenartigen Vergangenheit noch mächtig. Sein heutiges Geschlecht 
steht augenblicklich uns gegenüber noch in grossen Zügen als eine Welt 
von einst, seine Eigenart und Besonderheit geworden in den langen Jahr- 
hunderten seiner Geschichte.“ Dem Seelsorger lag es nahe, breiter auf 
das Verhältnis des Bauern zur Religion einzugehen (169ff.). Nimmt man 
Glaube gleich Gottvertrauen, Hingebung an Gott, so gibt es keine religiösere 
Schicht als das Bauerntum (S. 177). Es ist durchaus die Dogmatik des 
Mittelalters, die der bäuerlichen Bevölkerung zusagt. Ausführlich wird 
(übrigens auch schon vorher, denn ein streng systematisches Werk stellt 
das Buch nicht dar) von der Moral gehandelt (198 ff.). Die Gleichgültig- 
keit, das Misstrauen, das zu Verschlossenheit und Trotz wird, die Streit- 
barkeit, dabei aber doch die Gutmütigkeit, die Schätzung der Frau als 
einer unentbehrlichen Mitarbeiterin, das Gewissen. sind durch gute Bei- 
spiele erläutert, und am Ende dieses Abschnittes ordnet der Verfasser die 
Bauernmoral in das Herbartsche ethische System ein, wobei er zeigt, dass 
alle die Hauptideen mit Ausnahme des Wohlwollens sich beim Bauern 
finden. An der Darstellung der Schlierseer legt er noch dar, wie die Bauern- 
merkmäle sich selbst auf dieser Bühne erhalten haben. Übrigens wird 
dabei an dem Dramatiker Anzengruber eine nur zu berechtigte Kritik ge- 
übt. Anzengruber war ein Städter, der für sein städtisches Publikum 
arbeitete. Im einzelnen. werden in einem weiteren Abschnitt Vergleiche 
angestellt zwischen Bauerntum und Mittelalter, Bauerntum und Kinder- 
welt, Bauerntum und Altem Testament, Bauerntum und älterer Kunst- 
übung, immer geistvoll und selten zum Widerspruch reizend, Mit be- 
herzigenswerten Worten schliesst der Verfasser (306): „Es dürfte nicht 
mehr und nicht weniger sein, als eine Art Selbstmord, den ein Volk an 
sich begeht, wenn es mit dem, was es an. Hochkultur in seinen Kultur- 
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