K. Reuschel.
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stube als einer treuen Bewahrerin volkskundlicher Überlieferungen an,
wie besonnen urteilt er über das Leibgedinge, wie fein weiss er in seiner
Rückschau die Bewohner des Badener Landes, seiner zweiten Heimat, zu
charakterisieren! Wer mitten im Betriebe unserer Wissenschaft innesteht,
kann dieses in seiner Art klassische Buch nicht entbehren, und bei der
Fülle der Anregungen beachtet er kaum, dass zu einer gleichmässigen
Behandlung aller Gebiete des badischen Volkslebens recht viel fehlt.
Der berühmte Ethnolog RıcHARD ANDRE, der seit langem im
‘Globus’ der Volkskunde eine Heimstätte bereitet), hat im Jahre 1901
seine „Braunschweiger Volkskunde“ wesentlich bereichert und verbessert
in zweiter Auflage erscheinen lassen, ein Werk, das ‘seit seiner ersten
Ausgabe (1896) allgemein geschätzt war®*), Wie umfassend die Neu-
bearbeitung ist, zeigt sich aus der Vermehrung der Seitenzahl (von 385
auf 531) und der bildlichen Darbietungen (fast genau um das Doppelte).
Es ist mehr eine Landeskunde, und die Erzeugnisse der Volksdichtung
werden nicht so eingehend behandelt, wie man wünschen könnte. Da-
gegen besitzt das Buch vor anderen derartigen Schriften den Vorzug,
dass es auch die Ortsnamen sehr ausführlich bespricht und dabei die
Flurnamen und Forstorte schon zu einer Zeit in Betracht gezogen hat,
wo anderwärts kaum Anfänge zur Flurnamensammlung vorhanden waren.
Sitte und Brauch sind wie auch Sprache und Siedelungsverhältnisse
gründlich dargestellt. Wir stimmen dem Urteil Adolf Stracks (Hess. Bl.
I, 160) bedingungslos zu: „Möchten recht viele zu dem Buche greifen;
es orientiert nicht bloss über das Braunschweiger Volksleben, sondern ist
auch gut dazu geeignet, in die Volkskunde überhaupt einzuführen.“
Mit dem Jahre 1902 fand ein gross angelegtes Unternehmen seinen
Abschluss, das bereits acht Jahre vorher in die Öffentlichkeit zu treten
begonnen hatte, Dr. KARL REISER® „Volkskunde des Allgäus“*%), Mit
Absicht ist vom Berichterstatter diese Bezeichnung gewählt worden, denn
das Werk verdient einen Platz unter den besten zusammenfassenden Ar-
beiten über die Volkskunde deutscher Landschaften. Der ganze erste
Band wird den Sagen gewidmet, die in überraschender Fülle mitgeteilt
sind, der zweite enthält zwei weitere Hauptteile (Sitten und Gebräuche,
Volksmeinungen und Aberglauben a) im Anschlusse an die Kalenderfeste,
b) im Anschlusse an Geburt, Hochzeit und Tod, c) bei sonstigen An-
lässen; Volksmundart, Sprichwörter, Redensarten, Volksreime und Wort-
schatz des Allgäus).. Eine ausführlichere Schilderung des Volksliedes
hätte sich empfohlen. Die Behandlung des Wortschatzes ist vortreff lich;
so findet sich ein sehr lehrreiches Kapitel über die volkstümlichen Ver-
gleiche und Hyperbeln und eine wirklich gediegene Vorarbeit zu einem
Allgäuer Idiotikon. So wird beispielsweise der Einfluss des Italienischen
auf die Mundart beachtet. Freilich, den strengsten wissenschaftlichen
Ansprüchen genügt die Transskription nicht. Noch mehr Interesse als
der erste Band (Legenden sind zahlreich, Märchen fehlen) erregt über-
88a) Z. B. ADOLF HEILBORN, Zur V. von Hiddensee, 78 (1900) 381{f.
39) Braunschweiger Volkskunde. 2. verm. Aufl. Mit 12 Taf. u. 174 Abbild.,
Plänen und Karten. Braunschweig, Friedrich Vieweg u. Sohn 1901, XVIIT u.
531 8. 40) Sagen, Gebräuche u. Sprichwörter des Allgäus, Aus dem Munde des
Volkes gesammelt. J. Kösels Verlag, Kempten 0. J., 2 Bde., 567 u. 764 8. 8°.