VI.
Die Nachbarschaft.
Gaât Nôber Güld wiert. Guter Nachbar Gold wert.
Sächsischer Volk sfpruch—
An die Stelle der Bruderschaft, aus der der heiratende Bursche
herauswächst, tritt eine neue Gemeinschaft, die alle selbständigen Haus⸗
wirte der Gemeinde umfasst und ihnen zur Erreichung bestimmter
Zwecke des bürgerlichen und geselligen Lebens Gelegenheit bietet —
die Nachbarschaft.
„Nach dem Grundsatz, dass sich die Nächststehenden (Nachbarn)
auch am nächsten und häufigsten berühren, mithin auch am meisten
unterstützen und am genauesten überwachen können“ (Artikel des Schenker
Consistorialkreises), ist jede sächsische Gemeinde in mehrere, meist vier
Abtheilungen getheilt, denen alle Gassen und Häuser der Gemeinde
zugeschlagen sind. Neu entstehende ganze Gassen, welche eine bereits
bestehende Nachbarschaft unverhältnismäßig vergrößern würden, werden
zu selbständigen Nachbarschaften erhoben, neuanwachsende einzelne Häuser
werden den ihnen zunächstliegenden Nachbarschaften zugeschlagen. An
der Spitze der Genossenschaft steht der freigewählte „Nachbarvater.“
Rechte und Pflichten der Genossenschaft regeln uralte, heute nur
noch in späterer Überarbeitung vorhandene Gesetze, die sogenannten
Nachbarschafts-Artikel.
Alle Hausgenossen männlichen und weiblichen Geschlechtes, die
nicht als Kinder dem Elternhause und der Schule oder als erwachsene
Burschen der Bruderschaft angehören, müssen sich in die Nachbarschaft