Die Überwindung agnostischer Ergebenheit und vielerlei Einäugigkeit 173
der Soziologie keinen systematischen Platz besäßen.” Die hieraus folgende
Konzeption der Technik als „non-social-object“ habe deshalb zu einer
,agnostische[n] Ergebenheit gegenüber der Technik““ geführt, bei der die
technische Entwicklung ausschlieflich als folgerichtiger und unbeeinflufi-
barer Prozef? interpretierbar sei und die Bedingungen technischen Han-
delns unreflektiert bleiben müfsten.
Obwohl seit den frühen 70er Jahren immer wieder auf dieses zentrale
Forschungsdesiderat der Soziologie hingewiesen wurde und ein differen-
ziertes Technik-Konzept auf der Ebene der allgemeinen Soziologie einge-
klagt wurde, konnte diesen erkannten Mängeln nicht ohne größere Schwie-
rigkeiten abgeholfen werden. Einige der fundamentalen theorietechnischen
Probleme wurden bereits benannt: das auf Interpersonalitát verengte, herr-
schende Handlungskonzept der neueren Soziologien und die daraus resul-
tierende Behandlung der Technik als ein dem Sozialen externer Faktor.
Dieser theoretischen Ausrichtung kann nicht durch eine einfache Auswei-
tung des Handlungskonzeptes oder die Soziologisierung der Technik be-
gegnet werden, da diese Konzepte in zwei grundlegende, konkurrierende
„kognitive Programme“ eingebunden sind.
Manfred Faßler weist darauf hin, daß in der schwerindustriellen Moder-
ne — in deren Kontext sich auch die Soziologie als akademische Disziplin
formierte ~ zwei zu unterschiedlichen Zeiten und für unterschiedliche Zei-
ten formulierte kognitive Programme kulturell synchronisiert wurden: ei-
nerseits die ingenieurtechnischen und ordnungspolitischen Entwicklungs-
und ,Vollstándigkeitsversprechen*, andererseits die ethische oder morali-
sche Einbindung subjektiven Handelns. Die „ordentliche Trennung“ die-
ser gleichzeitig wirksamen Programme „konnte sozial und kulturell nur
gehalten werden durch die These, das technische Faktum habe »sein Eigen-
leben«, »seine Eigendynamik« und müsse deshalb als non-social-object gel-
ten." Diesem Konzept entsprach die ,sachblinde These, soziales Handeln
bestehe ausschließlich in dem gemeinten Sinn, der in der Interaktion seine
Entfaltung und Bestätigung finde. Dies war zudem der Idee nachgeschrie-
ben, Ethik sei mehr, sei prinzipiell und somit prinzipiell anderes als die
Niederungen der Gesellschaft. Letztlich ein fataler christlich-abendländi-
scher Vorbehalt gegenüber der »gefallenen Welt«.**
Weingart, Peter: Strukturen technologischen Wandels. Zu einer soziologischen Analyse
der Technik. In: Rodrigo Jokisch (Hg.): Techniksoziologie, Frankfurt/M. 1982, Suhr-
kamp, S. 112-141.
Weingart, Peter: Einleitung. In: Peter Weingart (Hg.): Technik als sozialer Prozeß.
Frankfurt/M. 1989, Suhrkamp, S. 8-14, S. 10.
Fafller, Manfred: Abschied von der Vollstándigkeit. Technologiefolgenabschátzung im
Dilemma. In: Technik, Öffentlichkeit und Verantwortung (Wissensverarbeitung und
Gesellschaft Bd. 3). Ulm 1992, Universitátsverlag, S. 33-62, S. 33f.
Ebd.. S. 34.