Und in einer Aneignung der Erzählung von dem jungen Der-
wisch, der, als er das Antlitz Gottes sehen will, sich selbst sieht,
wird für Leiris das Gesicht des männlichen Partners - dieser mas-
kierten, in eine Art von abstraktem Ding an sich verwandelten
Frau - zum Antlitz eines Gottes. Und die Frau wird im Antlitz
dieses Gottes die große, universelle L'atrix, der der alte Hegel, als
er sie sich verstellte als , das Produkt des Gedankens, und zwar des-
jenigen Gedankens, der vom leeren Ich, das sich als Cbjekt diese
leere Identität seiner selbst setzt, bis zur reinen Abstraktion zurück-
geht“, den Beinamen Caput mortuum verlieh, einen Begriff, den er
von den alten Alchemisten entlehnt hatte, die ihn auf jene Phase des
Werkes anwandten, wo alles verdorben scheint und sich doch alles
neu gebildet hat.
Während Leiris seine Gedanken aus der ethnographischen Da-
tenschwere befreien kann, sie für seine poetische surreale Col-
lage des Wunderbaren nur nutzt, versucht der spátere Hans Peter
Duerr sein caput mortuum mit einer Datenfülle aus Archivmate-
rialien wissenschaftlich zu belegen, die in ihrer Heterogenität
jenem Frankensteinischen Monstrum gleichen, das Ruth Bene-
dict der kontextlosen kulturvergleichenden Einzelphänomenfor-
schung vorwirft.
Auch Duerr tendiert zur Selbststigmatisierung, aber er wendet
die Schuldzuschreibung gleich selbst auf die anderen, verbindet
sie mit charismatischer Verachtung (und weiß sich damit der cha-
rismatischen Gemeinde sicher). Sein Feindbild ist insbesondere
die ‘etablierte’ Wissenschaft — Migräne-Denker, … ob sie die Ma-
sche nun rechts oder links stricken; Universititsspiefier; Deamte mit
einer dicken Pension; linksintellektuelle Deutsche Scháferhunde;
linksliberale Klugscheifler; fade Langweiler. Duerr sparte in sei-
nem 1979er Interview »Kónnen Ethnologen fliegen« nicht mit
kräftigen Tönen, die diesseits des Zauns, das heißt in dem von
ihm postulierten Universitätsghetto bei den gequälten Studentin-
nen und Studenten ankommen sollten, nicht ohne gleichzeitig auf
seine Solidarität mit anderen Stigmatisierten unserer Gesell-
schaft hinzuweisen: Nutten mit ihren Lebenserfahrungen, von
denen unsere Marx-Adepten und Professoren viel lernen kónnten;
Penner — und Sie dürfen sicher sein, daß ich die Penner nicht nur
aus der Literatur kenne; Wahnerkrankte, bei denen für ihn wie
unter dem Einfluß halluzinogener Drogen - der Initiation und