Elektrizität und- Arbeit:
Zur sozialen Programmatik der Elektrizität
Die Anfänge des ,,Kraftstroms“ lagen gewissermaßen im Schatten des elek-
trischen Lichts. Der in den ersten Elektrizitätswerken produzierte Strom wur-
de größtenteils in Licht umgesetzt, die Elektrizität als Lichtbringerin stand
im Zentrum von Allegorik und Ikonographie, und die Verknüpfung von Elek-
trizität und Aufklärung erhielt ihre Plausibilität durch die Helligkeit der
neuen Lampen.
Dies veränderte sich nach 1890: Die Möglichkeit, mit elektrischem Strom
Arbeit zu verrichten, rückte nun ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksam-
keit und des Diskurses um die Elektrifizierung. Die Veränderung vollzog
sich langsam, doch als zu Beginn des 20. Jh.s über Überlandwerke debat-
tiert wurde, bekam elektrisches Licht bereits die Rolle der angenehmen Bei-
gabe zugewiesen, während im Mittelpunkt die Frage stand, daß und wie
Strom fehlende Arbeitskräfte ersetzen, die Arbeit leichter machen und so
zur Intensivierung der Agrarproduktion, zur Unterstützung des Dorf-
handwerks und zur Industrialisierung ländlicher Regionen beitragen kön-
ne. Elektrizität wurde nun in erster Linie als Energieträger wahrgenommen,
und das Stichwort „Arbeit“ lieferte den zentralen Begründungszusammen-
hang für den weiteren Ausbau der Elektrizitätsversorgung, rechtfertigte die
planmäßige Ausbeutung der Naturressourcen und war auch das Argument,
mit dem die Forderung nach staatlicher Lenkung der Energiepolitik begrün-
det wurde.
Mit dem Auf- bzw. Ausbau des Stromversorgungsnetzes verstärkte sich
der Diskurs um die Auswirkungen der Elektrifizierung auf Arbeitsprozesse
und Tätigkeitsprofile. Der Diskurs hatte zwei Zentren: Zum einen wurde
nach der Erfahrung ,,elektrifizierter” Arbeit gefragt und die Veränderungen
im Verhältnis von Mensch und Maschine an den Ausgangspunkt der Erörte-
rung gestellt. Im zweiten, größeren Diskursstrang stand die ,soziale" Wir-
kung der Elektrizitát im Mittelpunkt und wurden die möglichen strukturel-
len Auswirkungen der umfassenden Stromversorgung auf die Verfaßtheit
der Gesellschaft thematisiert.
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