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ANTJE KRUEGER
„Mit ‚verrückt‘ geht kein Kontakt!?“ Angst, Methode und die Bearbeitung
emotionaler Befremdungen in Feldforschungen
AÄNTIE KRUEGER
Zusammenfassung Der Artikel fokussiert auf Ängste und Irritationen, die die Konfrontation mit psychisch-kran-
ken Interviewpartnern und Interviewpartnerinnen innerhalb der Feldforschung auslösen können. Die Bewusst-
machung und Reflexion dieser subjektiven Einbindungen kann methodisch genutzt und damit fruchtbar für die
Forschungsbeziehung und den Forschungsprozess gemacht werden.
Schlagwörter Feldforschung — Ängste in der Feldforschung — Ethnopsychoanalyse — Asyl — Behandlung von
ösychisch belasteten Asylsuchenden — George Devereux
“Is there no contact with madmen!?” Anxiety, Method, and how to Work with
Emotional Irritations during Field Research
Abstract The article focuses on fear, anxiety and irritations in fieldwork with mentally ill asylum seekers. The
zonsciousness and the reflection on the subjective involvement can be used methodologically for research relations
and the research process.
Keywords fieldwork — anxiety in field research — ethnopsychoanalysis — asylum — treatment of mentally ill asy-
|um seekers — George Devereux
Resume siehe S. 166
„Mit ‚verrückt‘ geht kein Kontakt!?“
ÖRNST VON KaArDorfF konstatiert in seinem Auf-
satz „Kein Ende der Ausgrenzung Ver-rückter in
Sicht?“, dass es trotz aller medialer Aufklärung
massive Vorurteile gegenüber psychisch kranken
Menschen gibt: „Verrückte sind aufgrund eines ih-
nen selbst und ihren Mitmenschen fremd geworde-
nen, ängstigenden oder irritierenden Erlebens, Den-
kens und Handelns zugleich aus ihrer eigenen Mitte
und der ihres Umfeldes verrückt. Mit oft nur schwer
versteh- und einfühlbarer Kommunikation, wider-
sprüchlichem und unvernünftig erscheinendem
Handeln sowie unangemessenen Reaktionen und
Beeinträchtigungen ihrer Leistungsfähigkeit fallen
sie aus den Erwartungshorizonten alltäglichen Han-
delns wie der gesellschaftlichen Ordnung insgesamt
heraus. In der Folge werden sie in ihrem Umfeld
und am Arbeitsplatz stigmatisiert und ausgegrenzt
|... 1“ (KARDORFF 2008: 295).
Im Rahmen meiner Dissertationsforschung habe
ich mich dem Betreuungsansatz des Ethnologisch
Psychologischen Zentrums (EPZ) Zürich, einem
'‚eilstationären Angebot für psychisch belastete
Asylsuchende, gewidmet. Neben der Analyse der
;heoretischen, alltagspraktischen, politischen und
Zurare 38(2015)1+2: 66—72
institutionellen Dimensionen des Betreuungskon-
zeptes stand die subjektive Sicht der Bewohner
ınd Bewohnerinnen auf die erfahrene Betreuung
.m Zentrum der Erhebung. Einen besonderen Punkt
stellten dabei die Bewältigungsstrategien von mi-
grationsbedingten und aktuellen biografischen
Übergängen dar (vgl. KRUEGER 2013). Während der
Konzeption und im Prozess der Forschung wurde
ich auf vielfältige Weise mit Stigmatisierung und
Ausgrenzung der ehemaligen Bewohner und Be-
wohnerinnen des EPZ konfrontiert. Bereits im Vor-
{eld wurden in meinem wissenschaftlichen Umfeld
ımmer wieder Zweifel geäußert, ob Interviewge-
spräche mit Menschen, die, wenn auch unterschied-
lich stark, psychisch belastet sind, valide Ergebnisse
hervorbringen könnten. Es herrschte hier und da die
Auffassung, dass sich das „Ver-rückte“ auch in den
Gesprächen äußern würde und die Interviews un-
;er Umständen zwar den fragmentierten seelischen
Zustand der InterviewpartnerInnen dokumentieren,
aber kaum auswertbare Aussagen über die erfahre-
ne Betreuung hervorbringen könnten. Im Extrem-
‚all wurde sogar gemutmaßt, die Antworten könn-
(en gar nicht erst ernst genommen werden, wenn
sie von Betroffenen mit nachweislichen psychiatri-
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