Digitalisate

Hier finden Sie digitalisierte Ausgaben ethnologischer Zeitschriften und Monografien. Informationen zum Digitalisierungsprojekt finden Sie [hier].

Suchen in

Volltext: Curare, 38.2015

Reprint ausgewählter Editorials (1981-1991) 
259 
„Ethnomedizin quid es et quo vadis?“ Medizinethnologische Editorials der 
Curare-Jahrgänge 4(1981) bis 14(1991) in ausgewählten Reprints* 
Reprint Curare 5(1982)4: 195-197 und Nachtrag 
Curare 7(1984)2: 110 
Editorial. Medizinethische Fragen im 
Kulturvergleich. Ein Beitrag der Ethnomedizin 
Kulturelle Werte und aus ihnen abgeleitete Verhal- 
tensanweisungen für die Heilkunde verändern sich 
nicht nur in der Zeit, sondern sie unterscheiden sich 
auch für die heute in den verschiedenen Teilen der 
Erde bestehenden mannigfaltigen gesellschaftlichen 
Lebensformen. Die medizinische Ethik als syste- 
matische und vergleichende Wissenschaft von den 
medizinischen Normen (1) hat ihr Arbeitsmaterial 
bisher meist in Geschichte und Gegenwart unserer 
kulturspezifischen Medizin gefunden. Die Methode, 
die verschiedenen anderen aktuellen Medizinkultu- 
ren zu studieren und zu vergleichen, ist noch recht 
jung, und nur wenig wurde fremde medizinische 
Praxis und fremde medizinische Philosophie zum 
Gegenstand ethischer Forschung gemacht (2). Doch 
dieses Arbeitsfeld ist vielversprechend. 
Teils bis in die jüngste Vergangenheit und viel- 
fach bis heute finden wir Kulturen in anderen Erd- 
teilen, die sich in wesentlichen Voraussetzungen 
und Grundlagen von der unseren unterscheiden 
und dennoch das Kranksein und seine Bewältigung 
ethisch strukturieren. Wir finden auf der einfachs- 
ten Stufe der Subsistenzwirtschaft und der Tech- 
nologie Wildbeuter-kulturen, und wir finden die 
komplexeren Ackerbauvölker. Diese beiden groben 
Muster der Wirtschaftsform lassen sich weiter in 
Unterformen aufgliedern, wie sie sich beispiels- 
weise auf bestimmtes Jagdwild, auf Fischfang, 
auf besondere Nahrungspflanzen oder Zuchtvieh 
spezialisiert haben. Solcherart Feineinteilung zeigt 
nicht nur Unterschiede in der Struktur der Gesell- 
schaft, sondern auch eine sensible Wechselwirkung 
mit der physischen Umwelt. Darüber hinaus finden 
sich komplizierte Interaktions- und Anpassungs- 
muster zwischen unterschiedlichen Nachbarvöl- 
kern, etwa zwischen Wildbeutern und Bodenbauern 
und zwischen Anhängern von Hochreligionen und 
Stammesreligionen. In der Geschichte dieser Grup- 
pen, in der Genese ihrer Lebensformen, finden wir 
wertvolle Schlüssel zum Verständnis ihrer aktu- 
ellen Realität. Je einfacher eine Kultur organisiert 
ist, desto homogener ist im Allgemeinen ihre Vor- 
stellungswelt. Alle Bereiche des individuellen und 
gesellschaftlichen Lebens sind in ein umfassendes, 
von allen Gruppenmitgliedern geteiltes Wertsystem 
integriert. So sind die Handlungen des Einzelnen 
für seine Mitmenschen im Prinzip verständlich, 
seine Motive durchschaubar und mit den eigenen 
Erfahrungen konsistent. Auch die Medizin ist in tra- 
ditionellen Kulturen Teil der umfassenden Gesell- 
schaftsordnung, sie ist nicht verselbständigt oder 
„entfremdet“. Je nach dem Grade der sozialen und 
technologischen Differenziertheit hat sie zwar einen 
mehr oder weniger definierten Eigenbereich, doch 
ist sie stets in den Gesamtrahmen der Kultur einge- 
bettet. Insbesondere wird sie meist in enger Verbin- 
dung mit transzendentalen Vorstellungen gesehen, 
die die theoretische Erklärung der Weltordnung 
liefern. Krankheit ist, auch wenn sie über die Sin- 
ne erfahren wird, Resultat des Wirkens numinoser 
Mächte, so wie alles Leben und Gedeihen von ihnen 
abhängt und gelenkt wird. Religiöse und natürliche 
Erfahrung lassen sich nicht trennen; auch eine ein- 
fache physisch-menschliche Ursache enthält stets 
sin sinngebendes metaphysisches Element. Die 
Natur, der Körper, das Leiden werden nicht erst 
sekundär durch Magie oder Religion interpretiert, 
sondern häufig schon primär als transzendente Er- 
fahrung empfunden. 
[196] Wir können daher aus den Beschreibungen 
konkreter medizinischer Praxis, wie sie von den Ein- 
heimischen selbst oder von unseren Feldforschern 
geliefert werden, deren medizinische Wertewelt 
ausarbeiten, und wir können sie zur übergeordneten 
Wertewelt in Beziehung setzen. Wir können unter- 
suchen, wie die generellen Normen in unterschiedli- 
chen Lebenssituationen speziell ausformuliert wer- 
den, und wir können Gesetzmäßigkeiten suchen, ob 
und wie die materiellen Lebensbedingungen und 
die geschichtlich-kulturellen Einflüsse die Hand- 
lungsanweisungen der Heilkunde bestimmen. Wir 
e 
Diese ausgewählten Editorials wurden der neuen Rechtschreibung angepasst und die Titel von Artikeln der erwähnten Autor/innen der 
entsprechenden Hefte in Klammern eingesetzt. Minimale Ergänzungen zum Verständnis des Kontextes wurden [kursiv] nachgetragen, 
Originalseitenzahlen sind mit [] markiert. Zusammenstellung und Redaktion: EKKEHARD SCHRÖDFR. 
Curare 38(201514: 259-2723
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.