Volksmusik »zwischen Lust und Frust«
Die Lebenssituation oberbayerischer Musikanten Ende des 18. und Anfang
des 19. Jahrhunderts*
Oliva Wiebel-Fanderl
Das Forschungsproblem
Nachrichten über »Volk und Musik« sind geprägt durch die Beziehung der
Volksmusik zu anderen Musikgattungen, die Einstellung verschiedener kul-
tursozialer Schichten zur »Musik der Vielen«! wie auch die Verhaltensnor-
men und Regeln der Beziehung zwischen den Musikanten. Nähert man sich
dem Themenkreis Volksmusik von der volkskundlichen Seite, ist es unab-
dingbar, sich auch der Lebenswelt der Musikanten zuzuwenden, denn das
Musikleben eines bestimmten zeitlichen Ausschnitts ist immer im Zusam-
menhang gesamtgesellschaftlicher Prozesse zu verstehen. Im folgenden geht
es um die Darstellung der Produzierenden in ihren Lebenszusammenhän-
gen. Es wird danach gefragt, aus welchen gesellschaftlichen Schichten sich
die Musikanten rekrutierten und welche Möglichkeiten musikalischer Fort-
bildung sie hatten, in welchen Abhängigkeiten und mit welchen Problemen
sie Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts lebten.
Hängt das Entstehen unterschiedlicher Dichte der Musikanten mit wirt-
schaftlichen Notlagen oder besonders günstigen Bedingungen für das Ent-
decken eigener musikalischer Fähigkeiten zusammen? Waren Orte im Um-
kreis von Klöstern und militärischen Niederlassungen, oder Orte besonders
musikalischer Seelsorger und Lehrer, Musikanten förderlicher als an-
derswo? Oder hängt die Zahl der gelösten und zugelassenen Patente einfach
von der je kleineren oder größeren Freizügigkeit der über die Patente wa-
chenden Pfleger ab? War das Musizieren eher eine Freizeitbeschäftigung
oder gehörte es neben anderen Fertigkeiten zum Repertoire der Überlebens-
künste, um das tägliche Leben zu meistern, wie wir es bei Bettlern durch
Jahrhunderte kennen? WALTER HARTINGER spricht in seiner Untersuchung
über »Volkstanz. Volksmusikanten und Volksmusikinstrumente in der
* Referat in der Sektion Volkskunde auf der Generalversammlung der Görres-Gesellschaft in
Würzburg am 28. 9. 1992.
! Der Begriff »Volksmusik« wird hier gebraucht im Sinne von »Gebrauchsmusik der Vielen«.
Vgl. zur Problematik des Begriffs »Volksmusik« SCHEPPING, WILHELM: Lied- und Musikfor-
schung. In: BREDnicH, Roır W. (Hg.): Grundriß der Volkskunde. Einführung in die For-
schungsfelder der Europäischen Ethnologie. Frankfurt am Main 1988, 5. 399-422.