Gottfried Korff
sche« vermittle und Eigenschaften wie »dauerhafte Echtheit« und »einwand-
freie Technik« offeriere. Zu alledem war die Ausstellung, die vom 20. Januar
bis 28. Februar 1909, organisiert vom deutschen Lyceumclub in der Voss-
straße zu sehen war, als Wohltätigkeitsveranstaltung eingerichtet. Die Initia-
toren, zu denen die aristokratische und bürgerliche Elite der Reichshaupt-
stadt zählte, wollten den Blick nicht nur auf die Volkskunst-Objekte selbst,
sondern auch auf die »selbstlose Arbeit von in aller Herren Ländern wirken-
den Vereinen und Wohltätern«®! lenken, um so den bürgerlichen Hilfs- und
Unterstützungsmaßnahmen als sozialpolitischen Steuerungsinstrumenten
Geltung zu verschaffen.
Die wirtschafts- und sozialpolitische Kosten-Nutzen-Rechnung, so idea-
listisch sie auch angesetzt war, war eng verbunden mit ästhetisch-ge-
schmacksbildenden Intentionen — und diese Verflechtung verweist auf zwei
Grundfigurationen, die dem Volkskunstdiskurs nicht nur im späten Kaiser-
reich, sondern auch im Verlauf des 20. Jahrhunderts in wechselnd starker
Prägung Form und Richtung geben. Beide Grundfigurationen tauchen
schon im 19. Jahrhundert auf, und beide stehen in Zusammenhang mit der
vehementen gesellschaftlichen Modernisierung. Die eine ist auf Vorgang
und Folgen der Industrialisierung direkt bezogen, die andere auf Differen-
zierungen innerhalb von Kultur und Gesellschaft, wie sie sich im Prozeß der
Modernisierung herausgebildet haben. Zum einen handelt es sich um das,
was RızcGL mit den Begriffen »Hausfleiß und Hausindustrie« umschrieben
hatte, zum anderen um das, was unter dem Stichwort Autonomisierung der
Kunst gefaßt wird. Beide Grundfigurationen sind von der Jüngeren Volks-
kunstforschung verschiedentlich — in zum Teil sehr gründlichen Untersu-
chungen — erkundet und dargestellt worden. Zu denken ist etwa an die Ar-
beiten von BERNWwARD DENnEKE®?, ELKE und HErRBerRt ScHWwEDT® und LunDwıc
GROoTE*, aber möglicherweise erweist es sich als ergiebig, wenn sie auf ihre
politischen Implikationen und Folgewirkungen abgefragt werden.
Gewerbepolitik und Folklore-Funde
Das Hausfleiß/Hausindustrie-Syndrom changiert zwischen wirtschafts-
und sozialpolitischen Ordnungsdenken, wobei im Verlauf der Industrialisie-
rung die zunächst stärker ausgebildeten wirtschaftspolitischen Züge allmäh-
31 Ebd., S. 59f.
92 DENEKE (wie Anm. 6). — Ders.: Die Entdeckung der Volkskunst für das Kunstgewerbe. In:
ZfVk. 60 (1964), S.168—-201. — Ders. (Hg.): Europäische Volkskunst (= Propyläen Kunstge-
schichte, Supplementband V). Frankfurt/M./Berlin/Wien 1980, S. 11-81. N
5 ScHWwEDT (wie Anm. 6). — SCHWEDT, ELKE: Volkskunst und Kunstgewerbe. Überlegungen
zu einer Neuorientierung der Volkskunstforschung. Tübingen 1970.
* Grore, LupDwic: Expressionismus und Volkskunst. In: ZfVk. 55 (1959), S. 24-31.