Translationen heiliger Leiber als barockes Phänomen
Hansjakob Achermann
Translationen — feierliche Übertragungsfeste- nehmen im kirchlichen Leben der
Barockzeit eine bedeutende Rolle ein. Anlaß zu solchen Feiern boten sehr oft
Katakombenheilige. Im 17. und 18., ja auch noch im 19. Jahrhundert sind tau-
send und abertausend heiliger Leiber aus den Katakomben Roms in die weite ka-
tholische Christenheit verschickt worden. Dort hat man sie mit großem Pomp
empfangen, in die Gotteshäuser eingeführt und darauf über viele Jahrzehnte in
hohen Ehren gehalten. Deutschland - und hier vor allem der katholische Süden —
aber auch Österreich und die dem alten Glauben treu gebliebenen Gebiete der
Schweiz bekamen viele solche Katakombenheilige, d. h. menschliche Skelette
aus römischen Coemeterien, von denen man damals in gutem Glauben annahm,
daß es sich um die leiblichen Überreste frühchristlicher Märtyrer handle — sehr
zu Unrecht, wie sich später herausstellte. Gerade dieser Irrtum und seine Zur-
kenntnisnahme durch die offiziellen kirchlichen Stellen dürften zu einem Teil
der Grund gewesen sein, weshalb in der Forschung dem Kult um die Römischen
Martyrer bis tief ins 20. Jahrhundert so wenig Beachtung geschenkt wurde. Und
wenn doch jemand auf die Katakombenheiligen zu sprechen kam, so vielfach
nur unter negativem Vorzeichen].
Der Forschungsstand in der Schweiz
Es scheint mir aus all dem Gesagten auch für die Schweiz bezeichnend genug,
wenn bei uns der Anstoß zur Erforschung des Katakombenheiligenkultes von
einem protestantischen Gelehrten ausging. Der Basler Professor ERNST ALFRED
STÜCKELBERG ist es gewesen, der hierzulande erstmals auf diese Reliquien auf-
merksam gemacht hat. Sein zweibändiges Werk »Die Geschichte der Reliquien
in der Schweiz« enthält viele Hinweise auf die Römischen Martyrer. Spezifi-
scher geht Stückelberg in einem Aufsatz »Translationen in der Schweiz« und
später in der Schrift »Die Katakombenheiligen der Schweiz« auf die heiligen
Leiber ein. Allerdings muß gerade beim letztgenannten Titel vor allzu großen
Erwartungen gewarnt werden. Das Werk besteht zu seinem größeren Teil aus
1 So kommen beispielsweise noch Veıt, LuDwIG ANDREAS u, LENHART, LuDwiG: Kirche und
Volksfrömmigkeit im Zeitalter des Barock, Freiburg 1956, nur unter dem Teil »Zeitgenössische Kri-
tik am Frommen des Barock« auf die Römer Heiligen zu sprechen, wobei man die Mißbilligung der
Autoren aus jedem Satz herauslesen kann.