| Abhandlungen und Vorträge.
Das Naturbild Norddeutschlands zur ausgehenden Eiszeit.
Von
Arnold Jacobi.
Seit Alfred Nehring Vor vierzig Jahren begonnen hatte, die
fossilen Wirbeltiere des norddeutschen Diluviums genau zu bestimmen
und durch ihre Zurückführung auf die heutige Fauna der Polarzone
und der ponto-kaspischen Niederungen Anhaltspunkte zu gewinnen;
um auf zoogeographischer und ökologischer Grundlage Rückschlüsse auf
die damalige Naturbeschaffenheit zu ziehen, ist von ihm und anderen
ein gewaltiger Erfahrungsstoff für die historische Geologie des Pleisto-
cäns angesammelt worden. Während der 1904 verstorbene Zoologe
sich fast ausschließlich dem Ausbau seiner Lehre nach der paläonto-
logischen Seite hin widmete, ist die früher recht lässig behandelte Strati-
graphie und Chronologie durch immer genauer vorgenommene Feld-
untersuchungen mehr und mehr verfeinert worden. Nachdem es schließ-
lich mit einiger wissenschaftlicher Sicherheit gelungen ist, die Ent-
wieklungsstufen der diluvial-menschlichen Kultur zur Aufeinanderfolge
der Quartärschichten in Beziehung zu bringen, kann die Wechselfolge
und die Ortsverlegung des festen und flüssigen Wassers mitsamt dessen
mineraliseher Befrachtung wührend der Eiszeit im großen und viel-
fach schon im kleinen überbliekt werden. Neben dieser stratigraphi-
schen und topographischen Arbeit ging das Bestreben, die Landsehafts-
kunde, das organische Leben und das Klima jenes erdgeschichtlichen
Abschnitts als Naturbild vor uns wiedererstehen zu lassen. Den ersten
und zugleich an Reichtum der Ergebnisse förderlichsten Schritt dazu
tat wiederum Nehring mit seiner Lehre von dem einstigen Vor-
kommen der uns heute als Tundra und Steppe bekannten Landsehafts-
formen, wozu ihm seine umfassenden Studien über das Vorkommen
und die Lebensweise der noch heute lebenden Vertreter der Quartär-
fauna den Weg gezeigt und die GewiBheit von der Richtigkeit seiner
Ansichten verschafft hatten. Nicht nur in dem bekannten Buche, in dem
er Tatsachen und Sehluffolgerungen gemeinverstündlich zusammen
gefaßt hat!), sondern in zahlreichen Einzelsehriften ließ es sich
—
YY Nehring 1890.
Zeitschrift für Ethnologie. Jahrg. 1919. Heft 4—6. 15