Volltext: Zeitschrift für Ethnologie der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde und der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, 115.1990

  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
    
Buchbesprechungen 303 
Speiser, S.: Leben ist mehr als Überleben. Afroamerikanische Totenriten in Esmeraldas 
(Ekuador) und ihr Beitrag zur kulturellen Kontinuität. Forschungen zu Lateinamerika Bd. 21. 
250 Seiten. Saarbrücken, Fort Lauderdale: Verlag Breitenbach Publishers 1989. 
Speisers 1988/89 an der Philosophischen Fakultät der Universität Regensburg angenom- 
mene Dissertation kommt die Ehre zu, einen Beitrag zum Schließen gleich mehrerer Lücken in- 
nerhalb der deutschen Ethnologie zu leisten. Zum einen legt sie den Finger auf die geradezu 
stiefmütterliche Behandlung der Afroamerikanistik allgemein (einen entsprechenden, von der 
hiesigen Völkerkunde besetzten Lehrstuhl sucht man vergebens). Zum anderen verweist sie auf 
ein vergleichbares Defizit innerhalb regionalspezifischer Studien — hier den Andenstaat Ekua- 
dor betreffend (gleiches gilt auch für andere iberoamerikanische Staaten mit signifikanten 
schwarzen Bevölkerungsanteilen). Und nicht zuletzt präsentiert sie sich als aufgrund der Initia- 
tive befreiungstheologischen Interesses angeregt und entstanden (S. 11 u. ó.) und zeigt sich da- 
durch einem theoretischen Diskurs verpflichtet, dessen sozialwissenschaftliche Relevanz in Eu- 
ropa wenn nicht geleugnet, so doch gerne unterschátzt wird, dessen Kraft und Präsenz aber in 
Lateinamerika selbst, in Ekuador zumal, zunehmend spürbar sind. 
S. leitet ihre Studie mit einigen reflexiven, die zugrundeliegende Feldforschung in der ekua- 
dorianischen Provinz Esmeraldas betreffenden Bemerkungen ein. Der Wunsch des órtlichen 
Bischofs, die Volksreligiositàt der mehrheitlich schwarzen Bewohner der Provinz seitens der 
Kirche nicht mehr, wie in der Vergangenheit üblich, als ein zu konvertierendes Übel zu erach- 
ten, sondern zu respektieren, d. h. aber erst einmal kennenzulernen, führte zum Auftrag an die 
Autorin, eine Dokumentation der Volkskultur mit besonderer Beachtung der religiósen Tradi- 
tionen vorzunehmen (S. 12). Sie tat dies vornehmlich im báuerlich geprágten, an die Pazifikkü- 
ste angrenzenden Nordwesten der Provinz, an den Flüssen Santiago, Cayapas und Onzole 
(S. 13), und ergänzte ihre Untersuchungen mit Vergleichsstudien in der Provinzhauptstadt so- 
wie in Guayaquil, Stádte, die — wie in vielen anderen Gegenden Lateinamerikas auch — der typi- 
schen Land-Stadt-Migration als Auffangbecken dienen (S. 60ff.). Als zentrales Element für ein 
Verständnis der afroesmeraldeñischen Kultur drängten sich S. die durchgeführten Totenriten 
und die sich in ihnen manifestierenden Glaubensvorstellungen, Bedürfnisse, Weltbilder etc. auf 
(S. 14 ff.). Hauptsächlich mittels teilnehmender Beobachtung näherte sie sich ihrem Verständnis 
(S. 12£.) und nimmt für ihre Darstellung das Modell der „dichten Beschreibung“ von Clifford 
Geertz in Anspruch (S. 14). Im Anschluß an einige grundlegende terminologische Klarstellun- 
gen zu ihrem Konzept der Volksreligiosität als eigentlichem Kern von Volkskultur (S. 16ff.) 
nimmt S. sich einen kurzen Abrift der Geschichte afroamerikanischer Forschung allgemein so- 
wie afroesmeraldenischer Forschung speziell vor (S. 18ff.) und kommt zu dem überzeugend 
nachgewiesenen Schluß, daß eine direkte Proportionalität zwischen dem wissenschaftlichen 
Desinteresse an den Schwarzen und ihrer kolonialen und postkolonialen Unterdrückung zu 
konstatieren ist. 
Im sich anschließenden ersten Abschnitt des Hauptteils stellt S. das “ganz alltägliche Leben” 
(S. 25ff.) der Afroesmeraldeñer vor. Sie korrigiert den ökologischen Mythos vom tropischen 
Paradies Esmeraldas und vollzieht die ökonomische Ausbeutung der natürlichen Ressourcen 
der Provinz sowie ihrer Bewohner durch das an den Exporterfordernissen des Weltmarkts 
orientierte Großkapital nach (S. 31 ff.). Doch betraf diese Entwicklung die afroesmeraldenische 
Landbevölkerung bis zum in den vierziger Jahren unseres Jahrhunderts einsetzenden Bananen- 
boom nur peripher. Konnten die Schwarzen bis zu diesem Zeitpunkt noch eine relative Autono- 
mie aufrechterhalten, wurden sie dann massiv zu Arbeiten in den neu entstandenen Bananen- 
plantagen herangezogen, womit mehr oder weniger gewaltsam der Schritt von der traditionell
	        
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