Buchbesprechungen
Doch gerade heute, an der Schwelle zum europäischen Binnenmarkt und zur politischen Eini-
gung Europas, sind aktualisierte Informationen über die Völker Gesamt-Europas gefragter
denn je.
GewiÃ, angesichts der gebotenen Kürze kann auch Wulf Köpke, Leiter der Europa-Abtei-
lung am Berliner Museum für Völkerkunde, das zweifellos in der Ãffentlichkeit bestehende In-
formationsdefizit nicht erschöpfend beheben. Er stellt gemeinsam mit seinen Mitarbeiterinnen
Rose Haferkamp und Ingrid Kuschick 15 europäische Völker zwischen dem Atlantik und dem
Ural mit wichtigen kulturellen Aspekten in einer Text- und Fotoauswahl vor: Italiener, Spanier,
Portugiesen, Basken, Franzosen, Engländer, Deutsche, Lappen, Schweden, Esten, WeiÃrussen,
Tataren, Rumänen, Bulgaren und Serben.
Diese Auswahl wirkt auf den ersten Blick etwas willkürlich, zumal Wulf Kópke selbst â bei
Einschlufi der Kaukasier â heute von etwa 200 groflen und kleinen Vólkern in Gesamt-Europa
ausgeht. Einleitend bemerkt er dazu:
âEine Auswahl von 15 Völkern diente uns als Beispiel für die vielen Gemeinsamkeiten. An-
hand von Fotomaterial aus der Zeit von 1875 bis 1975 zeigen wir schlaglichtartig einige
Aspekte ihres Lebens und ihrer Lebensgeschichte. Wir haben uns nicht zum Ziel gesetzt, er-
schópfend über die Italiener, die Lappen oder die Bulgaren Auskunft zu geben. Wir hätten
die von uns gezeigten Aspekte, Szenen und Themen genausogut aus dem Bildmaterial der
vielen anderen, nicht genannten Völker auswählen können. Sie würden oft die gleichen Bil-
der bieten..."
Ob dieses zutrifft, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls ergibt sich bereits mit dieser Auswahl
ein Bild einer groften Vólkerfamilie, deren Mitglieder ihren kulturellen Reichtum ohne den
ständigen Austausch mit ihren Nachbarn nicht hätten entwickeln können.
Jedem der genannten Völker sind, abgesehen von einer sehr reduzierten Fotoauswahl, zwei
bis drei Seiten Text gewidmet. Einleitend werden ihre Fremd- und Eigenbezeichnungen ge-
nannt, ihre Anzahl, ihr Lebensraum und zu ihrem Verständnis notwendige historische Aspekte.
Besondere Beachtung finden Minderheiten, die auf dem Territorium der staatstragenden Na-
tion leben, ferner Aspekte der Landwirtschaft und des Nahrungserwerbs, der Sprache und Reli-
gion, der Trachten und Architektur, des Handwerks und der traditionellen Sozialorganisation
mit Hinweisen auf die jeweilige Stellung der Frau. Die Beschreibungen folgen jedoch keinem
starren Schema, sondern lassen den Versuch erkennen, besonders typische Aspekte der jeweili-
gen Kultur herauszustellen. Allerdings überwiegen bei diesem Vorgehen die nationalen Beson-
derheiten vor den Gemeinsamkeiten europäischer Kultur.
Gerade hier böten sich Ansatzpunkte zur Kritik, da dieser subjektiven Auswahl auch andere
Erscheinungsformen des jeweiligen âNationalcharaktersâ an die Seite gestellt werden könnten,
wie es 1987 z. B. Hans Magnus Enzensberger in âAch Europa!â getan hat. Doch damit wäre die-
ses schmale Bändchen überfordert, will es doch in erster Linie zur BewuÃtmachung europäi-
scher Kultur in einer breiten Ãffentlichkeit beitragen und Anregungen zur Weiterbeschäftigung
mit diesem Thema vermitteln. Die abschlieÃend zusammengestellte weiterführende Literatur
soll diesem Zwecke dienen.
Bei einer Neuauflage wäre m. E. eine noch stärkere Berücksichtigung der technischen und
sozialen Einflüsse wünschenswert, die zu Kulturveränderungen führen, z. B. die Nutzung von
Motorschlitten bei den Lappen, die Rolle der Medien oder der Einfluà der Pilgerzüge und des
Tourismus früher und heute. Auch die Probleme zwischen den groÃen und kleinen Völkern,
z. B. die Rolle der Minderheiten und der Nationalitätenpolitik etwa ın Rumänien, Jugoslawien,
der Sowjetunion, in Spanien oder Irland sollten nicht ausgeklammert werden. Es wäre freilich