Zeitschrift für Ethnologie 115 (1990)
4 Traum, Schwäche, Scham, Wut und Zorn — Bedrohung für den einheitlichen
Menschen
Die Einheit von Ihkreka und Caxwyn als Iji zeigt sich beim einzelnen trotz regelmäßi-
ger Teilnahme am Klotzlauf und Gesangsritualen in so mancher Situation gefährdet.
Traurigkeit, Krankheit und nicht selten der Tod können die Folgen sein.
Täglich löst sich so z. B. die Einheit im Schlaf auf. Was als Traum empfunden wird,
ist nichts anderes als die Wahrnehmung des selbständig umherwandernden unsichtba-
ren Abbildes. Als ,Schatten“!° (Caro- bzw. Acaro = „dein Schatten“) verläßt es am
Haarwirbel den sichtbaren /bkreka des Schlafenden, um alleine umherzuschweifen.
Das von den Canela als Schatten bezeichnete, unsichtbare Abbild entspricht dem un-
sichtbaren Kern (Caxwyn), der Innensicht des Menschen. Im Vollzug des Heraustre-
tens erhält es einen anderen Namen, wodurch sein nunmehr veränderter Zustand zum
Ausdruck gebracht wird.
Tabelle 2. Das Problem der „Einheit“ bei den Canela in verschiedenen Zuständen
Einheit bei: Aufbrechen der Einheit bei: Zerfall der Einheit bei:
Leben Traum, Leiden, Scham, Tod
Wut, Zorn
Frohsinn Traurigkeit Stillstand
(Ami Kin) (Amy Kitt)
|
|
|
In Ibkreka | pi Ihkreka vers
(Einheit) (Aufensicht) | Schatren) (Außensicht) Schatten)
|
|
: |
in: |
Caxwyn |
(Innensicht)
und
Ihkreka
(Außensicht)
Die freigesetzten „Schatten“ können miteinander Kontakt aufnehmen. Bereits
Crocker (1967, 168) stellt dies fest:
'° Nicht zu verwechseln mit dem realen Schatten, für den die Canela einen eigenen Begriff kennen. Jedoch
kommt der Schattenbegriff, so ergab die Diskussion, dem Verständnis der Canela vom unsichtbaren „Dop-
pelgänger“ am nächsten.