Anthropos 92.1997
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Berichte und Kommentare
ihr, Erde an einem bestimmten Ort zu sammeln,
davon einen Teelöffel mit Wasser in einem Topf
zu kochen, um die Mischung dann in kleinen Por
tionen an Patienten zu verteilen.
Als ich mich im Herbst 1989 in Uganda auf
hielt, 4 machte eine Heilerin von sich reden, die den
Diskurs und die Praktiken der bereits erwähnten
Kulte übernahm und variierte. Sie hieß Yowanina
Nanyonga und behauptete in einem kleinen Ort mit
Namen Sembabule in Masaka, mit Gottes und der
Jungfrau Maria Hilfe in den Besitz heiliger Erde
gekommen zu sein, die verschiedene Krankheiten,
vor allem aber AIDS, heilen könne. Bereits nach
zwei Monaten hatte Nanyonga, so Weekly Topic
vom 8.11.1989, dreißig Tonnen Erde an Tausende,
die zu ihr kamen, verteilt und damit einen neuen
Kult der Geophagie etabliert.
Als die Regierung den Kult, der sich rasch aus
breitete, verbot, begann ein Prozeß der Konfronta
tion zweier unterschiedlicher diskursiver Regimes
des Wissens und der Macht. Jedes der beiden
Regimes, das des Kultes sowie das des Staates,
umfaßte seine eigenen charakteristischen Untersu
chungsobjekte und Praktiken zur Hervorbringung
ihrer je spezifischen Wahrheit. 5 Doch beruhte ih
re Opposition gleichzeitig auf einem Verhältnis
wechselseitiger Abhängigkeit, in dem die eine Sei
te die jeweils andere brauchte, um sich überhaupt
zu artikulieren. Und obwohl das staatliche Regime
den Sieg davontrug, provozierte es, wie ich im
Nachtrag zeigen werde, immer wieder sein Ge
genstück: lokale Kulte, die die Macht zu heilen für
sich beanspruchten. Ich möchte im Folgenden die
kurze Geschichte der Konfrontation dieser beiden
Regimes, die sich in einem Kampf um Macht und
Wahrheit verstrickten, nachzeichnen. Dabei geht es
mir weniger um die vielfältigen Bedeutungen von
4 Meine ethnographische Forschung wurde großzügig vom
Sonderforschungsbereich der Universität Bayreuth “Identi
tät in Afrika” unterstützt. Dafür möchte ich danken. Ebenso
möchte ich Maryinez Lyons für die zahlreichen Gespräche
zum Thema AIDS meinen Dank aussprechen.
5 Die Kritik an Versuchen, Foucaults analytische Metho
de auch auf Afrika anzuwenden, sind mir bekannt (z. B.
• Vaughan 1991: 8 ff.). Ich teile einige der Bedenken und
bemühe mich hier auch nicht, Foucaultsche Terminologie
einfach auf afrikanische Verhältnisse zu übertragen. Fou
cault bezeichnete sich als Ethnologe der eigenen, euro
päischen Gesellschaft; Kolonisierung, Missionierung und
andere Globalisierungsprozesse haben aber dazu geführt,
daß bestimmte Prozesse sich im modernen Afrika in ver
änderter Form wiederholen. Auf diesem Hintergrund halte
ich es für gerechtfertigt, mit einigen wenigen, aber zentralen
Kategorien Foucaults im postkolonialen Kontext Ugandas
zu arbeiten. Zu Foucault und “the colonial order of things”
vgl. Stoler 1995.
Äußerungen als vielmehr um das Spiel der Diffe
renzen, die zwischen diesen Äußerungen liegen.
Seit 1987 arbeite ich ethnographisch vor allem
im Norden Ugandas (Behrend 1993) und seit 1995
auch in Buganda und Toro. In Sembabule habe ich
aber nicht eigentlich eine Feldforschung durchge
führt. Ich hatte Gelegenheit, den Ort des Kultes
einmal zu besuchen. Ansonsten habe ich mich
hauptsächlich auf Texte der Presse gestützt und
mit verschiedenen Frauen und Männern Gespräche
über Sembabule geführt.
Das Wunder
Die Produktion und Konsumtion von Wunderba
rem (vgl. Greenblatt 1994: 39 ff.) sowie von Wun
dern sind selten unschuldige Unternehmungen.
Immer gehen sie mit einem Machtanspruch einher.
Dementsprechend wurden sie von den Mächtigen,
von Kirche und Staat, häufig für eine Bedrohung
genommen. Historiker sahen in ihnen Formen kul
turellen Widerstands gegen die offizielle christ
liche Ideologie (Fe Goff 1990: 46). So konnte
Jacques Fe Goff für das europäische Mittelalter
zeigen, daß das Wunderbare im christlichen Wun
der bereits domestiziert war. In ihrem Kampf ge
gen das “Heidnische” lehnte die Kirche das Wun
derbare ab, unterdrückte es und versuchte sogar es
zu vernichten (Le Goff 1990: 42). Im Wunder ver
suchte sie dann, das Wunderbare zu rationalisieren,
zu reglementieren sowie zu ästhetisieren und damit
zu entmächtigen.
Yowanina Nanyonga, die Gründerin des hier
zu behandelnden Kultes, war 1989 etwa 65 Jah
re alt, bäuerlicher Herkunft, Witwe, katholischen
Glaubens und stammte ursprünglich aus Ruanda.
Anfang August hatte sie ihre erste Vision “when
she was saying her sacraments.” In dieser Vision,
die nur wenige Sekunden dauerte, wurde ihr be
fohlen, Kranke zu heilen. Aber sie mißtraute der
Erscheinung. Ende August wiederholte sich die Vi
sion jedoch. Darauf suchte sie den lokalen Priester
auf, der sie aufforderte, die Vision zu vergessen,
“because those were demons,” Er lehnte also die
positive Anerkennung ihrer Vision ab und verwies
sie in den Bereich des Bösen.
Aber an einem regenreichen Tag Anfang Sep
tember gegen acht Uhr abends befahl ihr eine don
nernde Stimme zu tun, was ihr befohlen sei. “Et
was” faßte ihre Hand und führte sie nach draußen.
Dann sagte die Stimme: “This is the place where
you should dig and give the medicine to all people.
You will not need to call them, they will come
in their millions from both within and without