Anthropos 92.1997
Berichte und Kommentare
Das Wunder von Sembabule
Die kurze Geschichte eines Anti-AIDS-
Kultes in Uganda
Heike B ehrend
Seit Anfang der 80er Jahre wird Uganda von der
sich rapide ausbreitenden AIDS-Epidemie erfaßt.
Etwa 10% der Bevölkerung oder 20% der sexuell
aktiven Frauen und Männer sollen mit dem Vi
rus infiziert sein (Lyons 1994: 5). Während noch
1993 das Verhältnis von HIV-positiven Frauen zu
HlV-positiven Männern 1:1 stand, scheint sich das
Verhältnis immer mehr zu ungunsten von Frauen
zu verschieben. Insbesondere junge Mädchen im
Alter von 15 bis 19 Jahren sind fünfmal mehr ge
fährdet als gleichaltrige Männer (Lyons 1994: 6).
Handel und Krieg führten zu einer regional
sehr unterschiedlichen Verbreitung der Krankheit.
Während die Regionen Masaka und Rakai in Bu-
ganda besonders früh und heftig von der Epidemie
getroffen wurden, zeichnete die Krankheit z. B.
den Norden Ugandas erst einige Jahre später.
Im Gegensatz zu vielen anderen afrikanischen
Regierungen, die AIDS nicht wahrnehmen woll
ten, öffnete Yoweri Museveni, der derzeitige Prä
sident Ugandas, der 1986 mit seiner National
Resistance Army (NRA) mit Gewalt die Macht
übernommen hatte, 1 sehr schnell westlichen Wis
senschaftlern die Türen und lieferte der interna
tionalen AIDS-Forschung ein Versuchs- und For
schungsfeld. Bereits Ende 1986 stellte die Weltge
sundheitsorganisation 750,000 US Dollar für ein
AIDS-Programm in Uganda zur Verfügung (Ly
ons 1994: 21). Danach strömten mit manchmal
recht zweifelhaften Projekten unzählige “Geber”
ins Land, so daß kritische Stimmen begannen,
weniger von AIDS-Hilfe als vielmehr von einem
riesigen internationalen AIDS-Geschäft zu spre
chen (Lyons 1994: 3). Die ugandische Regierung
etablierte 1988 auch ein AIDS Control Programme.
Da jedoch die Krankheit, in Uganda slim genannt,
trotz dieser und anderer Maßnahmen weiterhin
zahlreiche Opfer forderte, wurde das Versagen
westlicher Wissenschaft, speziell der Medizin, in
Uganda offensichtlich. Auf diesem Hintergrund
sind die Versuche zu sehen, AIDS und andere
Krankheiten in lokalen Kulten mit religiösen Dis
kursen und Praktiken zu heilen. 2
Der christliche Kult, den ich im Folgenden
darstellen werde, ist nicht der erste, der in Ma
saka und Rakai im Zeichen der AIDS-Epidemie
entstand. Beide Regionen wurden während der
Kolonialzeit vor allem von katholischen Patres
missioniert, und bis heute hat die katholische Kir
che ihre hegemoniale Stellung erhalten können.
Doch blieb ihr Anspruch, vor allem nach dem
Ende des Bürgerkriegs, nicht unbestritten. 3 Insbe
sondere Frauen, die sich auf die Jungfrau Maria
beriefen, versuchten immer wieder, eigene Kulte
zu gründen. So behauptete 1987 Specioza Mu-
kantabara in Mbuye, die heilige Jungfrau Maria
gesehen zu haben, die ihr die Macht zu heilen gab.
Bis heute zählt ihr Kult etwa hundert Mitglieder.
Ein halbes Jahr später geriet Bernadetta Nasozi in
einen Zustand kontinuierlicher Extase; sie sprach
nur, wenn sie die Botschaften der Jungfrau Maria,
die sie ergriffen hatte, überbrachte. Und 1988 hatte
eine ältere Frau mit Namen Maiya Ntonina Na-
kayenga in Rakai eine Vision. Eine Stimme befahl
1 Durch die Wahlen im Mai 1996 konnte Museveni seine
Macht demokratisch legitimieren.
2 Vgl. dazu die Arbeiten von Peter Probst über AIDS in
Malawi (1995a, 1995b). Ich möchte an dieser Stelle Peter
Probst meinen Dank für Kritik und wertvolle Anregungen
aussprechen.
3 Janet Seeley erzählte mir, daß die katholische Kirche, da
sie AIDS für eine Strafe Gottes nahm, zunehmend an Mit
gliedern verlor. Viele Frauen und Männer, so Seeley, waren
bereit, das eigene Leben als sündig zu sehen, doch meinten
sie, daß AIDS eine unverhältnismäßig furchtbare Strafe sei,
die sie so eigentlich nicht verdient hätten. Sie verließen die
Kirche und wandten sich “traditionellen” Heilem zu.