Berichte und Kommentare
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Anth
'ropos 90.1995
für das Gute, sondern lediglich ein bei Bedarf
auf Erden nach den dort geltenden Gesetzen und
Machtstrukturen Einwirkender.
Auch die Verstorbenen im Jenseits unter der
Erde führen, solange sie durch die Opfer an die
Ahnentöpfe ernährt werden, ein dem irdischen
Dasein entsprechendes Leben. Sie bauen Häuser
und bauen Hirse an, wobei dieselbe Arbeitsteilung
wie auf Erden besteht. Während Männer aufein
anderfolgender Generationen durchaus in ein und
demselben Grab bestattet werden können, werden
Frauen immer allein beerdigt, damit sie Besuch
von Männern empfangen können. Ihre Kinder wer
den grundsätzlich getrennt von ihnen beigesetzt,
sogar Embryos werden aus dem Leib einer ver
storbenen Schwangeren entfernt und gesondert be
graben, damit sie die Erwachsenen bei ihren Zu
sammenkünften nicht stören. Männer, die Söhne
hinterlassen, leben länger in diesem Jenseits: ihre
Ahnentöpfe werden zwei Generationen lang ver
sorgt. Frauen, die Söhne geboren haben, werden
our eine Generation lang ernährt. Wenn die Ah
nentöpfe nicht mehr beopfert sondern zerschlagen
Werden, dann verwandeln sich die Verstorbenen in
Vögel und können als solche den Menschen keine
Krankheiten mehr schicken und ihnen keine Opfer
Ulehr abverlangen. Die Erd- und die Wassergeister,
die an bestimmten Plätzen leben, auf denen Kulte
ausgeführt werden, sind männlich und weiblich.
Doch die Opfer an sie können nur von Männern
gebracht werden.
Hexerei
Vfenn die Opfer und Zeremonien, die die Verbin
dung zu den Ahnen und zu den Geistern des Him
mels, der Erde und des Wassers herstellen, aus
schließlich Sache der Männer sind, so ist das bei
Hexerei anders. Bei einer Femeinwirkung auf an
dere lebende Menschen durch Schmutzzauber oder
durch nächtliches Eindringen in den Schlafraum
de r Opfer, zumeist in Gestalt eines Tieres (etwa
e mer Maus oder eines Vogels), dessen sich der rein
äußerlich schlafende Hexer bemächtigt, oder auch
durch als Licht erscheinende Energie, besteht zwi-
Sc hen Männern und Frauen hier kein Unterschied,
We der in der Häußgkeit des Schädigens noch in der
Wirksamkeit der eingesetzten Kraft. Gemäß ihrer
s °zialen Lage setzen Frauen allerdings Hexerei
e her bei Streitigkeiten im Alltagsgeschehen ein,
Während Männer sie auch für politische Zwecke
°der bei Territorialkonflikten benutzen. Einige Bei-
s Piele mögen dies veranschaulichen.
Bedekwa ist eine viel besuchte Heilerin. Sehr häufig diagnosti
ziert sie Hexerei als Krankheitsursache, oder aber das Orakel
hat bereits Hexerei festgestellt. Sie kennt viele verschiedene
Heilmethoden, darunter auch Akupressurbehandlung.
Eine Frau hat Schmerzen in der Brust. Sie erbricht alles,
was sie ißt, und atmet schwer. Sie kann einfach nicht ruhig
atmen. Es ist Hexerei. Bedekwa massiert den oberen Bauch, das
Brustbein und die Brüste mit Talg und Cailcedratöl. Bedekwa
sagt, daß die Seele in den Rücken verrutscht sei. Die Frau des
Nachbarn hatte Bier für den Markt gebraut. Da ihre Verwandten
immer viel Freibier von ihr verlangen, bat sie diese Frau, das
Bier für sie zu verkaufen. Das tat sie auch und verkaufte sogar
sehr viel: für 3.000 CFA-Francs. Eine Freundin der Verkäuferin
kam nun und bat um eine Gratiskalebasse. Doch die Frau sagte,
sie könnte nichts abgeben, weil das Bier nicht ihr gehörte. Da
wurde die andere böse, und sie gerieten in Streit. Von dem Tage
an fühlte die Frau sich krank. Das war heute vor einer Woche.
Sie hat einen Blähbauch und muß ständig rülpsen. Bedekwa
führt die Stengelspitze einer bestimmten Pflanze mit Blättchen
daran, auf die sie zuvor gespuckt hatte, um den Kopf der Kran
ken. Ein Blättchen legt sie auf den Rücken, den Rest wirft sie
weg. Diese Geste soll die Seele wieder an den richtigen Platz
rücken. Mit einer Hand umfaßt Bedekwa die beiden großen Ze
hen der Frau und klopft mit der anderen flachen Hand auf deren
Spitzen. Das bewegt ebenfalls die Seele wieder an ihren Platz.
Ein Mann mit kranken Augen kommt in Bedekwas Praxis.
Er will eine Frau heiraten, die auch ein anderer begehrt. Der Ri
vale beauftragte einen Hexer, diesem Mann einen Stoffetzen ins
Auge zu zaubern. Die Augen des Betroffenen schwollen rot an
und tränten. Das Orakel identifizierte den Hexer. Bedekwa be
handelt den Kranken mit warmem Wasser. Sie beschmiert seine
Stirn, beide Schultern und die Herzpartie abwärts bis zu den
Füßen mit einem blutigen Hähnchenschnabel. Dann nimmt sie
das Wasser in den Mund und massiert damit seinen Körper von
den Augen abwärts. Danach hat sie den Stoffetzen im Mund
und spuckt ihn in eine Tonscherbe. Diese legt sie unter einen
Stein am Weg zum Hause des Hexers. Wenn der Hexer dort vor-
beikommt, wird er sterben. Einem Nicht-Hexer kann diese Ton
scherbe nichts antun. Dem Hexer dagegen wird der Stoffetzen
in den Bauch eintreten. Er wird sofort Bauchschmerzen bekom
men und sterben. “Könnte dieser Mann dich um Hilfe bitten,
um zu überleben?” frage ich Bedekwa. “Nein, denn wenn ich
ihn berühren würde, müßte ich sterben. Niemand anderes kann
ihm mehr helfen, nicht einmal die Ärzte im Krankenhaus.”
“Hast du keine Probleme, auf diese Weise einen Menschen
zu töten?” will ich wissen. “Nein, denn ich bringe ja nur in
Ordnung, was der Mann durch seine Hexerei verursacht hat.”
Danagis Tochter hat seit zwei Wochen blutigen Durchfall.
Ihre Schwägerin hat sie verhext. Diese hatte in ihrer Abwesen
heit Bohnenblätter aus ihrem Speicher genommen. Daraufhin
schimpfte Danagis Tochter mit ihr. Die Schwägerin drohte:
“Wenn du so mit mir redest, wirst du nichts mehr essen
können. Du wirst sehen, was dir passiert.” Von dem Moment
an hatte Danagis Tochter diesen Durchfall. Sie ist im fünften
Monat schwanger und bekam Blutungen. Seit dem Streit mit
der Schwägerin wächst das Kind im Bauch nicht mehr. Es
ist verhext. Die Hexe hat die Nabelschnur um den Hals ge
wickelt und das Kind an den Händen gefesselt am Rücken der
Mutter festgebunden. Der Mann von Danagis Tochter hat das
Orakel befragt. Er sollte eine Ziege opfern. Die wurde gestern
geschlachtet. Die Tochter brachte - wie es das Orakel vor
schrieb - Danagi ein Stück Lende, die diese ihrem persönlichen
Seelentopf mit den Worten opferte: “Wenn ich es bin, die die
Krankheit verursacht, dann soll sie jetzt vorbei sein.”
Die zweite Frau von Danagis Sohn ist jetzt mit dem fünften
Kind schwanger. Zwei ihrer Kinder sind gestorben. Das Orakel
ergab, daß es Hexerei war, und zwar war es entweder jemand