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Berichte und Kommentare
Anthropos 85.1990
alle in ihren Hof, wo die Stühle schon im Kreis standen, in
der Mitte ein Tablett auf einem niedrigen Hocker. Nachdem
alle Platz gefunden hatten, kam Zoula mit einem Tablett mit
Spitzendecke, auf dem das gliko (kandierte Früchte) auf kleinen
Kristallschälchen - für jeden eine Feige -, silberne Gäbelchen
und die Gläser mit Wasser standen. Jede Besucherin bekam
ein Schälchen, und während jede ihre Feige aß, stand Zoula,
mit dem Tablett auf den Händen, wartend dabei. Die geleerten
Schälchen wurden wieder auf das Tablett gestellt; dann nahm
jede ein Glas Wasser und prostete damit Zoula zu, indem ihr
chronia pola (viele Jahre) gewünscht wurde. Dann verschwand
Zoula in der Küche und kam als nächstes mit einem Täßchen
griechischen Kaffees für jede. Den selbstgebackenen Kuchen
(kailc) legte sich jede mit einer Serviette auf die Knie. Die
Kinder bekamen Limonade und Kekse. Während gegessen und
getrunken wurde, setzte sich Zoula dazu und nahm an der Un
terhaltung teil. Nach dem Kaffee servierte sie weißen Nußlikör
und Nußpralinen. Auch hier wartete sie, mit dem Tablett auf
den Händen, stehend bis alle den Likör ausgetrunken und ihr
nochmals chronia pola und stin i gia su (auf deine Gesundheit)
gewünscht hatten. Nach einer kleinen Pause gab es für jede
ein Stück Schokoladen-Buttercreme-Torte, die mit einem Glas
Wasser serviert wurde. Zum Abschluß des Nachmittagsemp
fangs bewirtete sie die Gäste noch mit Schälchen voll Eiscreme.
Der ganze Empfang hatte etwa eine Stunde gedauert, dann stan
den alle ziemlich abrupt auf und gingen wieder, mit Hinweisen
auf diverse Arbeiten, die sie noch zu erledigen hätten.
Die Kinder hatten bei diesem Empfang große Mühe, nach
der Limonade und den Keksen noch die Schokoladentorte zu
essen. Nach drei Bissen hatten sie genug, wurden aber von
den Erwachsenen, teils mit freundlichem Zureden, teils mit
sehr ernsthaften Ermahnungen, zum Weiteressen bewogen. Als
ein kleiner Junge aus der Nachbarschaft mit seiner Großmutter
zufällig hereinkam, suchte er sich trotz heftigem Zureden von
Zoula, er solle ein Stück Torte essen, den allerkleinsten Keks
aus. Auch die Großmutter weigerte sich, außer einer Nußpraline
etwas zu sich zu nehmen. Die Gastgeberin aß während des
Empfangs nichts.
Zoula feiert ihren Geburtstag, und nicht ihren
Namenstag wie traditionell üblich. Dadurch signa
lisiert sie ihren Nachbarinnen, daß sie eine „mo
dern lebende“ Frau ist. Im Ablauf der Bewirtung
richtet sie sich aber nach der traditionellen Ze
remonie. Die Zeremonie der Geburtstagsfeier be
inhaltet das Ritual der Bewirtung. Wann immer ein
Gast das Haus betritt, bekommt er oder sie von der
Hausfrau ein Schälchen gliko und ein Glas Was
ser als Willkommensgruß gereicht. Die freundli
che Aufnahme und die Bewirtung von Fremden
wird von Griechen selbst als ein hervorstechendes
Merkmal ihrer Kultur gesehen, und jemanden zu
bewirten, ist ein Akt, der dem Gastgeber bzw. der
Gastgeberin hohes Prestige einbringt (s. Herzfeld
1985: 136 f. und Gavrielides 1974).
Die gesamte Zeremonie hat in der Durchfüh
rung viele Gemeinsamkeiten mit dem kabul günü
in der Türkei. (Die Insel Lesbos liegt nahe der tür
kischen Küste.) Der kabul günü ist ein festgelegter
Empfangstag einmal im Monat oder einmal in der
Woche, den die Dame des Hauses für Bekannte,
Freundinnen oder die Ehefrauen der Arbeitskol
legen ihres Mannes gibt. Am späten Nachmittag
und frühen Abend kommen die Frauen für ein oder
zwei Stunden zusammen und werden von der Gast
geberin bewirtet mit Kaffee oder Tee, Süßigkei
ten und Zigaretten. Währenddessen werden Neu
igkeiten ausgetauscht. Oftmals werden auf diesen
Treffen auch soziale und gesellschaftspolitische
Ereignisse diskutiert, und zwar so, daß durchaus
auch ein Gegengewicht zur oder eine Bestärkung
der männlichen Politik entstehen kann (s. Aswad
1974; Benedict 1974). Im griechischen Dorf finden
diese Art Treffen unregelmäßig statt.
Gavrielides berichtet von zeremonialen Emp
fängen, die ältere Familienväter anläßlich und zur
Feier ihres Namenstages von den Frauen der Fami
lie veranstalten ließen, um Wohlstand und Ansehen
in der Dorföffentlichkeit zu zeigen (1974: 56 f.).
Er stellt diese Zeremonie in einen Zusammenhang
mit zeremonialen Bewirtungen bei Besuchen zu
kalendarischen Festen wie Ostern und Weihnach
ten und zu den Feiern von Hochzeiten, Kindtau
fen und Beerdigungen und den Kirchweih-Festen
(panijiri). Wir müssen aber sehen, daß es nur die
Rituale der Bewirtung und bestimmte zeremoniale
Abläufe sind, die sich auf allen Festen und festli
chen Bewirtungen wiederholen; die je spezifische
Bedeutung liegt im sozialen Kontext. Die Namens
tagsfeier der Männer, schreibt Gavrielides, finde in
der Regel erst zu einem Zeitpunkt im Lebenszy
klus der Männer statt, wenn sie zu einem gewissen
Wohlstand gekommen seien, also etwa mit 50 oder
60 Jahren. Dies sei auch der Zeitpunkt, an dem -
wenn vorhanden - die Töchter verheiratet werden
müßten, d. h. die Demonstration des Wohlstandes
sei vor allem auch auf zukünftige Schwiegersöh
ne ausgerichtet. Dieser Bedeutungszusammenhang
gehört in den Kontext der männlichen Welt, und
die Feier des Namenstages als persönliches Fest,
durch das die Schutzfunktion des Heiligen als
Namenspatron gefestigt und erneuert werden soll,
ist „nur“ der Anlaß.
Auch der Empfang unter Frauen nimmt eine
persönliche oder Familienfeier zum Anlaß. Sogar
der Namenstag eines Ehemannes kann von seiner
Frau auf diese Weise ohne seine Anwesenheit
gefeiert werden. Verheiratete Frauen veranstalten
diese Empfänge sehr viel öfter für sich, die Nach
barinnen und Verwandte als für den Ehemann.
Somit hat die zeremoniale Bewirtung hier weniger
Status-Signalwirkung als vielmehr die Funktion
einer ständigen Bestätigung und Aufrechterhaltung
eines sozialen (auch sozial-politischen) Netzes.
Bewirtungen der Frauen finden häufig in der
warmen Jahreszeit statt und dann in den Wohnhö-
fen der Häuser, also in einem Teil des Hauses -