Buchbesprechungen
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Wildbeutern bewiesen, die keine nennens
werte bildende Kunst hervorgebracht haben.
Ganz abgesehen davon, daß der Magie-Be
griff ästhetisch neutral ist und sich auch mit
einem nur „wunderlichen“ Material begnü
gen kann.
Als Gegenbegriff zum Magismus verwen
det der Verf. den Animismus, den er mit der
Totenverehrung gleichsetzt. Nach ihm ist der
primitive Animismus dualistisch und seine
Kunst abstrakt. Damit erweist sich der Verl,
als ein weiteres Opfer des in der modernen
Geisteswissenschaft immer stärker eindrin
genden Aberglaubens — wonach der frühe —
wie der naturvölkische Mensch — nur noch
als Religiosum gesehen wird. Man will
offenbar nicht sehen, daß auch die Religion
als eine der menschlichen kulturellen Mani
festationen genau wie die Kunst dem glei
chen Stiibegriff unterliegt. Der Naturalis
mus der frühen Kunst hängt nach dem Verf.
„mit individualistisch-anarchistischen Lebens
formen“ zusammen. Es ist jedoch kaum mög
lich zu diesem Zeitpunkt eine individualisti
sche und anarchistische Existenzform zu er
warten, dagegen sprechen alle Daten aus
dem naturvölkischen Bereich. Auf diese
Weise können gegen den ersten Abschnitt er
hebliche Einwände erhoben werden. Inwie
weit dies auch für die übrigen gilt, kann hier
im Einzelfall nicht geprüft werden.
Es mag an der Fülle des Stoffes und der
Aufgabe liegen, daß sich der Verf. immer
wieder genötigt sieht, auf Klischees zurück
zugreifen. Je mehr er sich der Gegenwart
nähert — es sei an das letzte Kapitel „im
Zeichen des Films“ gedacht — desto stärker
setzt sich der eigene Stil des Verf. durch.
Die beiden Bände bilden ein gewichtiges
Kompendium, das man als Nachschlagwerk
gerne zu Rate ziehen wird, wobei einzurech
nen ist, daß es sich um ein sehr persönliches
Werk handelt.
J. F. Glück
BERNHARD RENSCH:
Neuere Probleme der Abstammungslehre.
Die Iransspezifische Evolution. 2. stark
veränderte Aull, mit 436 S. und 113 Abb..
Ferdinand Enke Verlag. Stuttgart 1954.
Die Entwicklung des Stofflichen in seiner
organischen Form wird immer von höchster
Aktualität sein.
Daher kann das vorliegende Werk, das
der Verf. unter einem so bescheidenen Titel
vorlegt, eines großen Interesses sicher sein.
Es geht ihm nicht nur um einige „Probleme“,
sondern was er bietet, ist eine zusammenge
faßte Betrachtung, welche die Urzeugung
ebenso einschließt, wie die Entstehung des
menschlichen Bewußtseins.
Der Verf. beginnt seine Untersuchung mit
der Diskussion der infraspezifischen Evolu
tionsfaktoren. Dem folgen die Kapitel über
die Typen der Art- und Rassenbildung, die
Richtungslosigkeit der transspezifischen Evo
lution, die Evolutionsgeschwindigkeit, die
Regelmäßigkeiten der Kladogenese, die Ana-
genese, die Evolution des Lebenden, die
Onto- und Ektogenese und die Evolution
der Bewußtseinserscheinungen.
Das Hauptanliegen des Verf. besteht darin
nachzuweisen, daß „die großen Züge der
Evolution“ nicht von Willensprozessen be
herrscht sind, daß es also keine autonomen
Entwicklungskräfte gibt, da diese physio
logisch greifbar sein müßten — wie er be
tont. Außerdem geht es ihm darum nachzu
weisen, daß den Formveränderungen aut den
höheren Systemstufen (Klasse, Ordnung,
Familie, Ciattung) letztlich die gleichen ele
mentaren Vorgänge zugrunde liegen, wie
auf denen der niederen (Rasse und Art).
Da das erste Thema das Werk bis zum
Schluß gleichmäßig durchzieht, sei schon hier
darauf eingegangen. Im wesentlichen er
scheint es doch als ein Streit um Worte —
ob man von Entelechie, autonomer Entwick
lungskraft — oder wie der Verf. es tut —
von „konstruktiven Genen“ spricht. Hier
steht der Forscher einfach vor jener Grenze,
die ein anderer Biologe — A. Portmann —
bescheiden das „Unsichtbare“ nennt. Max
Westenhöfer spricht vom gleichen Gegen
stand als „Präexistenz der Anlagen“ und die
moderne Geisteswissenschaft verwendet für
solche Fälle gerne den Begriff der Struktur.
Damit sollen keine Meinungsgrenzen, die
mit den jeweiligen Begriffen noch zusätz
lich verbunden sind, verwischt werden. Es
bleibt deutlich sichtbar, daß der Verf. der
nun schon klassischen Biologenschule ange
hört. Mit der Definition des Lebens als ein
„System von Leistungen“ ist die Frage nicht
zu klären, ob es autonome Evolutionskräfte
gibt oder nicht. Dem müßte vorausgehen,
daß das Leben jederzeit im Reagenzglas
nach Rezept reproduziert werden könnte.