Digitalisate

Hier finden Sie digitalisierte Ausgaben ethnologischer Zeitschriften und Monografien. Informationen zum Digitalisierungsprojekt finden Sie [hier].

Suchen in

Volltext: Anthropos, 79.1984

Anthropos 79.1984 
66 
Josef Kreiner 
Interpretationen spielten vor allem Urgeschichte 
und Archäologie wichtige Rollen, während Völ 
kerkunde und physische Anthropologie quasi als 
deren Hilfswissenschaften in den Hintergrund 
traten. Es war auch die Urgeschichte, die durch 
Heinrich von Siebolds Köko-setsuryaku ([Abriß 
der Urgeschichte] Tökyö 1879) und die Lehrtätig 
keit von Morse an der Tökyö Universität 
1877-1879 als erste der drei Disziplinen in Japan 
umfassend und methodisch vorgestellt und einge 
führt wurde, 
1884 wurde in Tökyö eine Jinrui-gakkai 
(Anthropologische Gesellschaft) als Dachorgani 
sation aller Wissenschaften vom Menschen 
gegründet, die ab 1886 das bis heute erscheinende 
Journal Jinruigaku-zasshi herausgab. Führende 
Köpfe dieser Gesellschaft waren die vor allem 
urgeschichtlich orientierten Gelehrten Shögorö 
Tsuboi und dessen Schüler und Nachfolger auf 
dem 1892 eingerichteten Lehrstuhl für Anthropo 
logie der Tökyö Universität, Ryüzö Torii. Tsuboi 
veröffentlichte 1899 seine Arbeit Jinruigaku-jö 
dozoku-chösa no han’i [Über den Umfang der 
anthropologischen Brauchtumsforschung] {Tö 
kyö Jinruigakkai-zasshi 14: 156 ff,), die erstmals 
Gedankengut europäischer, vor allem französi 
scher und britischer, Völkerkunde in Japan 
bekanntmachte, und Torii begann in den Jahren 
um die Jahrhundertwende mit Feldforschungen 
unter den Bergstämmen Taiwans, auf Botel Toba 
go, in Südwest-China und der Mongolei. 
Dennoch bildeten weiterhin Prähistorie (1896 
Archäologische Gesellschaft Japans) und physi 
sche Anthropologie den Schwerpunkt der japani 
schen Forschungen, zu denen sich noch die 
Linguistik (1886 erster Lehrstuhl in Tökyö für 
Basil Hall Chamberlain, 1896 Gründung der 
Linguistischen Gesellschaft) gesellte. Thematisch 
trat das Interesse am Problemkreis der Ethnoge- 
nese und damit auch an der Erforschung der Ainu 
als einer eventuell prä-japanischen Bevölkerungs 
und Kulturschicht zurück. Seine Stelle nahmen 
Untersuchungen in den neuerworbenen Koloni 
algebieten wie Taiwan, Korea, Liaotung, aber 
auch im gesamten ostasiatischen Raum, ein. 
In den ersten beiden Jahrzehnten dieses Jahr 
hunderts entwickelte sich, völlig unabhängig von 
den genannten Forschungseinrichtungen, eine 
volkskundliche Betrachtungsweise der japani 
schen Kultur. Bahnbrechend wirkte auf diesem 
Feld Kunio Yanagita (1875-1962). Absolvent der 
Juristischen Fakultät in Tökyö und vorüberge 
hend Beamter des Landwirtschaftsministeriums, 
beschäftigte Yanagita zunächst die wirtschaftliche 
Lage der Kleinbauern. Sehr bald begann er jedoch 
mit intensiven Aufnahmen der Volkskultur, in der 
er den wahren Kern japanischen Wesens zu 
erkennen glaubte und deren Geschichte er durch 
seine Untersuchungen erhellen wollte. Ganz 
besonders zog ihn die Frage der Herkunft des 
Reisbaues an, den er als tragendes Element in der 
Struktur der japanischen Kultur herausstellte. 
Diese Fragestellung durchzog sein ganzes Leben, 
seit er im Jahre 1897 auf Kap Irago (Nagoya- 
Bucht) das Antreiben einer Kokosnuß mit dem 
Kuroshio erlebte, über die Eindrücke seiner 
Okinawa-Reise 1920/21 bis zu seinem letzten 
Werk, dem 1961 erschienenen Kaijö no michi [Der 
Weg auf dem Meer]. Hier ist nochmals seine 
Konzeption klar zu erkennen: Japanische Kultur 
ist Reisbauernkultur; zusammen mit der Reis 
pflanze selbst sind die Träger dieser Kultur etwa 
ab dem 5.-3. Jh. v. Chr. aus den nicht-han- 
chinesischen Gebieten (Yüeh) südlich des Jangtse 
auf die Ryükyü-Inseln und von hier mit dem 
Kuroshio-Meeresstrom nach Norden gekommen; 
materielle Kultur, Sozialorganisation und Welt 
bild dieser Reisbauernkultur prägen bis heute den 
Charakter der japanischen Kultur; von einem 
Zentrum im Raum Nara-Kyöto ausgehend, haben 
sich seit proto-historischer Zeit neuere Elemente 
wellenförmig über ganz Japan verbreitet. 
Yanagita, der als Mitglied der japanischen 
Delegation zum Völkerbund 1921 bis 1923 zwei 
mal Europa besuchte und mehrere Sprachen las, 
war in seiner Methode stark von europäischen 
Werken sowohl der Völkerkunde wie der Lingui 
stik, besonders der französischen Dialektfor 
schung, beeinflußt. In den 1930er Jahren, als er 
sich stärker methodischen Fragen zuwandte, ver 
suchte er im Ansatz sein System als Grundlage 
einer künftigen, vergleichend arbeitenden Völker 
kunde zu sehen. Im Grunde blieb er jedoch 
seinem, trotz der historischen Zielsetzung rein 
phänomenologisch ausgerichteten Standpunkt ei 
nes system-immanenten Erklärungsversuches 
stets verhaftet. 
Yanagita sammelte sehr bald einen interessan 
ten Kreis von Soziologen, Heimatkundlern und 
Philologen um sich, zu dem auch Ausländer wie
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.